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Aufbruch am Abgrund

Von Ronald Schönhuber

Politik

Die neue CDU-Chefin muss sich 2019 bei vier schwierigen Wahlen beweisen. Auch ein Absprung der SPD ist möglich.


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Berlin. Für Annegret Kramp-Karrenbauer dürften die jüngsten Umfragedaten wohl eine Genugtuung sein. Denn aus Sicht der Wähler steht die 56-jährige Saarländerin, die sich im Rennen um die CDU-Spitze immer wieder gegen das Bild einer "Mini-Merkel" ohne eigenständiges Profil wehren musste, offenbar doch auch für Aufbruch und einen Neubeginn. So haben die Unionsparteien CDU und CSU seit Kramp-Karrenbauers Wahl zu neuen CDU-Chefin am Freitag um 3 Prozent auf 32 Prozent zugelegt. 46 Prozent der Befragten halten die Entscheidung für Kramp-Karrenbauer zudem für "eine gute Lösung".

Allerdings dürften die Ergebnisse des neuen RTL/n-tv-Trendbarometers wohl nicht viel mehr als eine Momentaufnahme sein. Denn die größte Bewährungsprobe für die neue Parteichefin wird wohl erst im Jahr 2019 kommen, wenn nicht nur im Frühjahr die EU-Wahlen geschlagen werden müssen, sondern auch im Herbst drei wichtige Landtagswahlen im Osten Deutschlands anstehen. Unangenehm könnten dabei alle vier Urnengänge werden. Denn wie in vielen anderen europäischen Ländern ist die Wahl zum EU-Parlament auch in Deutschland oft eine Denkzettel-Wahl, bei der es vor allem um die Unzufriedenheit mit der eigenen, nationalen Regierung geht. Und in Sachsen, Thüringen und Brandenburg sieht sich die CDU ebenso wie die SPD mit einer zuletzt immer stärker werdenden AfD konfrontiert. Die 20-Prozent-Marke dürften die Rechtspopulisten in allen drei ostdeutschen Bundesländern mit Leichtigkeit knacken, in Sachsen fehlen der AfD derzeit sogar nur noch 3 Prozentpunkte auf die bei rund 28 Prozent liegende CDU.

Sollten die Koalitionsparteien CDU und SPD nach den jüngsten Wahlniederlagen in Hessen und Bayern wieder stark verlieren, dürfte das freilich für massive Unruhe im Berliner Regierungsviertel sorgen. So würde der Druck auf die CDU-Chefin steigen, sich noch viel deutlicher vom Kurs von Kanzlerin Angela Merkel zu distanzieren. Denn eine Serie von Wahlniederlagen und jahrelang im Ankündigungsstatus stecken gebliebene Reformversprechen würden die Kanzlerkandidatin Kramp-Karrenbauer vor der Bundestagswahl 2021 wohl nachhaltig beschädigen.

Vorgebaut hat die neue Parteichefin in dieser Hinsicht jedenfalls schon. So hat Kramp-Karrenbauer unmittelbar nach ihrer Wahl nicht nur eine Kurskorrektur bei den Themen Zuwanderung, innere Sicherheit und Pensionen versprochen, sondern auch Widerspruch gegenüber der Kanzlerin angekündigt. Dort, wo es im Interesse der Partei notwendig sei, werde sie Merkel Paroli bieten, sagte Kramp-Karrenbauer, die prinzipiell als enger Vertraute von Merkel gilt, der ARD. "Das, was gut ist, wird fortgeführt und dort, wo es etwas zu ändern gibt, werden wir es ändern."

Die SPD in der Führungskrise

Kramp-Karrenbauer muss allerdings nicht nur die Wahlniederlagen der eigenen Partei fürchten. Denn entscheidend für die Zukunft der Berliner Koalition wird womöglich sein, wie sich die SPD bei den kommenden vier Urnengängen schlägt. Und da sieht es für die Sozialdemokraten derzeit nicht besonders gut aus. So grundelt die älteste noch bestehende Partei Deutschlands derzeit nicht nur bei bundesweit 14 Prozent herum, nur zehn Monate nach dem Abgang des großen Wahlverlierers Martin Schulz steht die Partei schon wieder vor der nächsten Führungskrise. Denn Parteichefin Andrea Nahles rackert sich zwar offensichtlich ab, ihre Kritiker kreiden ihr aber immer wieder Wagenburg-Mentalität, schlechte Beratung und mangelndes Basisgespür an.

Sollten die Sozialdemokraten bei den nächsten Wahlen weiter verlieren, dürfte es aber nicht nur für Nahles persönlich eng werden. Auch die Regierungszusammenarbeit mit der CDU würde sich für die SPD, die ohnehin nur widerstrebend und aus Staatsräson einer Koalition zugestimmt hat, dann kaum noch rechtfertigen lassen. Zieht die SPD die Reißleine, wäre Deutschland allerdings wieder dort angekommen, wo man bereits unmittelbar nach der letzten Bundestagswahl war: Die CDU müsste dann - sofern sie keine vorzeitigen Neuwahlen will - eine Jamaika-Koalition mit den Grünen und der FDP zustande bringen. Dass das Kramp-Karrenbauer gelingt, ist nicht unwahrscheinlich, gleichzeitig würde es aber wohl das endgültige Ende der Ära Merkel bedeuten. Denn dass die Liberalen Merkel noch einmal zur Kanzlerin wählen, gilt als so gut wie ausgeschlossen.