Die Arbeitswelt hat sich schneller gedreht als die Sozialpartnerschaft. Die Regierung fordert sie mit ihrem "New Deal" heraus.
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Wien. Die Rollenverteilung zwischen Sozialpartnern und Regierung ist in den vergangenen Jahren etwas verrutscht. Nicht, dass Gewerkschaft und Kammern das Land regiert hätten, wie das bisweilen insinuiert wurde. Doch im Zusammenspiel mit der Regierung haben sie auch dafür gesorgt, dass die Republik praktisch gar nicht mehr regiert wurde. Wenn die immerselben Politiker über die immerselben Themen und Konfliktlinien sprechen, ist irgendwann alles erschöpft, die Konsequenz heißt dann Stillstand.
Dieser Zustand hält in der Politik in der Regel nicht lange an, da Regierungen bei Stillstand meistens abgewählt werden. Auch Österreich erhielt in Christian Kern einen neuen Kanzler, sein Vize, Reinhold Mitterlehner, ist zwar der alte geblieben, doch auch der ÖVP-Chef versprührt neuen Elan und neue Hoffnung. Und gemeinsam haben beide gleich zu Beginn klargemacht, dass im "neuen Stil" auch eine andere Rollenverteilung zwischen Regierung und Sozialpartnern vorgesehen ist.
Doch wie soll und muss die aussehen? Und wie blickt die nächste Generation der Sozialpartner auf das Verhältnis zur Politik? Klar ist, dass sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten in Arbeitswelt und Wirtschaft viel verändert hat und nach wie vor verändert, womit auch die Rollenverteilung innerhalb der Sozialpartnerschaft gewissen Transformationen unterworfen ist.
In heutigen Erwerbsbiografien, vor allem im Dienstleistungsbereich, sind wechselnde Phasen der unselbständigen und selbständigen Arbeit nichts Ungewöhnliches mehr. Oder sogar beides gleichzeitig: eine kleine Anstellung, dazu ein Einkommen aus selbständiger Arbeit. Einmal werden die Interessen von Arbeiterkammer und Gewerkschaft, dann wieder von der Wirtschaftskammer vertreten. Herbert Rohrmair-Lewis, Vorsitzender der Jungen Wirtschaft, sagt: "Wenn man sich als Angestellter selbständig macht, ist man auf einmal beim ,Klassengegner’. Dieses Schwarz und Weiß gibt es nicht mehr."
Unterschiedliche Interessen
Aber auch innerhalb dieser Organisationen wird das Bouquet der Bedürfnisse immer bunter. Die Gewerkschaften kämpfen mit atypische Arbeitsverhältnissen, die Wirtschaftskammer mit einer hohen Anzahl neuer Selbständiger und Ein-Personen-Unternehmen, deren unterschiedliche Interessen auch nicht mehr so einfach auf einen Nenner zu bringen sind. Für die Sozialpartner bedeutet das auch einen Lernprozess.
Beispiel Arbeitszeitflexibilisierung: Bei jeder Kollektivvertragsrunde taucht diese Forderung der Wirtschaft ebenso auf wie die Erzürnung der Gewerkschaft darüber. Die Anhebung der Höchstarbeitszeit auf 12 Stunden steht auch im Regierungsprogramm.
Tatsache ist, dass durch Gleitzeit, Teilzeit, Leiharbeit sowie durch Auslagerung bestimmter Dienstleistungen an Selbständige (Grafik, Buchhaltung, etc.) eine stete Zunahme an Flexibilisierung Realität ist. Dabei gehen die Wünsche der Arbeitnehmer weit auseinander und sind eben nicht mehr so einfach zusammenzufassen, wie auch Sascha Ernszt, Vorsitzender der Gewerkschaftsjugend, erzählt. "Die Sozialpartner scheitern leider daran, die verschiedenen flexiblen Formen in ein Gesetz zu gießen."
Hat sich die Sozialpartnerschaft auf die neuen Herausforderungen der neuen Arbeitswelt schnell genug bewegt? "Wahrscheinlich nicht", sagt Rohrmair-Lewis von der Jungen Wirtschaft. Auch von Ernszt kommt in dieser Hinsicht Kritik. Viele Probleme der heute jungen Generation kennen die meist älteren Funktionäre nur vom Hörensagen.
EPU als Herausforderung
Prekariat, unbezahlte Praktika sowie Arbeitslosigkeit trotz guter Ausbildung sind eher neuere Phänome, und auch die Zunahme der Leiharbeit im produzierenden Sektor ist ein Thema, mit dem Ernszt bei der Gewerkschaft oft konfrontiert ist. "Die können überhaupt nicht planen, können dadurch auch keine Kredite aufnehmen. Die Sicherheit ist weg."
Eine Herausforderung für die Sozialpartner sind die Ein-Personen-Unternehmen (EPU). Heute bilden sie bereits die Mehrheit der Betriebe und sind für den Wirtschaftsstandort unabdingbar geworden. Andererseits handelt es sich um eine heterogene Gruppen, deren Interessen für die Wirschaftskammer nur schwer geeint zu fassen sind. "Man versucht die Leute in Schubladen zu stecken, die es schon lange gibt, und ist überfordert mit der neuen Arbeitswelt. Die neuen Arbeitsformen passen nicht ins Weltbild", sagt Gewerkschafter Ernszt.
Ein Problem für die Selbständigen ist die Sozialversicherung, die ihnen eigentlich Sicherheit bieten sollte. Erstens sind Selbstbehalte für jene, die sehr wenig verdienen, ein Problem, zweitens bringen Nachzahlungen EPU bisweilen an den Rand der Existenz, wobei die SVA gesetzlich verpflichtet ist, Außenstände einzumahnen. Auf diese Problemstellungen hat die SVA in den vergangenen Jahren zwar reagiert, sie bleiben in der EPU-Szene aber ein Dauerthema. "Da mehr Flexibilität reinzubringen, warum nicht?", fragt Rohrmair-Lewis.
Reform der Gewerbeordnung
Horst Kandutsch leitet ein Ein-Person-Unternehmen in Kärnten. Er glaubt an die Sozialpartnerschaft, sie müsse aber transparenter werden. "Wie es vor allem im Wirtschaftsparlament der Kammer zu Entscheidungen kommt, wie Beschlüsse gefasst werden, müsste man einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machen", sagt er. Mit der Pflichtmitgliedschaft hat er per se kein Problem, aber eine Anregung, was die zu zahlenden Beiträge betrifft: "Mir würde eine Staffelung gefallen, zum Beispiel mit einer Deckelung an den tatsächlichen Gewinn nach Steuern gekoppelt. Warum soll ein sehr erfolgreiches Start-up mit einem tollen Bilanzgewinn ebenso 150 Euro zahlen wie jemand, dessen Geschäft nicht so gut läuft", fragt er.
Gewerbe, ebenfalls ein Beispiel. Vizekanzler Mitterlehner kündigte an, die Gewerbeordnung entrümpeln zu wollen. Das trifft die eigene Wählerklientel des Wirtschaftsbündlers. Das ist neu. Es gehe darum, Bürokratien bei der Unternehmensgründung oder beim Zugang zu Gewerbe abzubauen. Man müsse auch über Pflichtbeiträge reden. "Die Sozialpartner sehen hier aber nicht dieselbe Dringlichkeit wie wir", so Mitterlehner. Der Kärnter Unternehmer Kandutsch dazu: "Momentan zahle ich für jedes Gewerbe die volle Grundumlage. Aber als EPU kann ich nicht jedes Gewerbe davon auch vollständig ausüben." Eine Möglichkeit für EPU wäre eine Reduktion auf jeweils die Hälfte jedes weiteres Gewerbes. Für das erste Gewerbe demnach 100 Prozent der Umlage, für das zweite die Hälfte und für das dritte ein Viertel.
Reinhard Kainz von der Bundesparte Gewerbe und Handwerk in der Wirtschaftskammer teilt den Alarmismus Mitterlehners nicht. "Die Gewerbeordnung wird ständig weiterentwickelt. Im Schnitt 3,8 Mal im Jahr", sagt er. Dass diese auch streng und restriktiv sei, habe mit der Qualitätssicherung zu tun. Rohrmair-Lewis fügt an: "An der Gewerbeordnung hängen 250 unterschiedliche Lehrberufe. Da muss man sehr aufpassen, was man macht."
Gefährlicher Trend bei Lehre
Die duale Ausbildung in Österreich ist eines der Prunkstücke sozialpartnerschaftlichen Wirkens und auch mitverantwortlich dafür, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Österreich im europäischen Vergleich niedrig ist. Allerdings sind in den vergangenen Jahren problematische Tendenzen zu vernehmen. Seit 2011 ist ein markanter Rückgang des Anteils der Lehrlinge an den 15-Jährigen zu beobachten. Die Zahl der Lehrbetriebe ist in diesem Zeitraum ebenfalls deutlich gesunken, von 36.000 im Jahr 2010 auf nunmehr 30.000 vier Jahre später.
Hier hatten Gewerkschaftsjugend und Junge Wirtschaft ein gemeinsames Projekt forciert, nämlich Ausbildungsverbände, an denen sich mehrere Betrieben beteiligen. So könnten sich auch spezialisierte Unternehmen an der dualen Ausbildung beteiligen. Das Projekt endete am Verhandlungstisch, zu viele Fragen von Haftungen bis zu Verantwortlichkeiten und Sozialversicherung blieben unbeantwortet. "Ich glaube schon, dass das gehen würde, aber es war allen Beteiligten zu mühsam", erzählt Ernszt. Im für die Lehrlinge zuständigen Bundesberufsausbildungsbeirat, in dem Vertreter der Sozialpartner sitzen, herrscht Einstimmigkeitsprinzip. Auch das verlangsamt viel. Ernszt: "Die Lehrausbildung muss verbessert werden, aber es ist einfach nichts weitergegangen." Angesichts des Trend der letzten Jahre drängt die Zeit.
Hoffnung auf den neuen Stil
Die sozialpartnerschaftliche Jugend ist vom neuen Verve der Regierung durchaus angetan, wenngleich Rohrmair-Lewis öffentlich geäußerte Kritik lieber intern vernommen hätte. "Dieses unsägliche Abtauschen muss jetzt ein Ende haben, weil es jede Reform kaputtmacht."
Und auch Ernszt sagt fast erleichtert: "Ich bin froh, dass von dieser Seite jetzt angedrückt wird. Es ist die Aufgabe der Regierung, Themen zu setzen und das Tempo vorzugeben. Die Sozialpartner vertreten die meisten Menschen und sollten daher schon ein gewichtiges Wort in der Debatte haben, aber die Regierung sollte sich nicht von anderen Organisationen vor sich hertreiben lassen." In Auseinandersetzungen kann man gewinnen und verlieren, das ist das Risiko. In den vergangenen Jahren hatte man im Zusammenspiel zwischen Regierung und Sozialpartnern das Gefühl, dass allen primär darum ging, nicht zu verlieren - um den Preis, dass dann gar nichts mehr weiterging. "Die letzte Regierung hat immer gewartet", sagt Ernszt, "Aber wenn man auf jeden wartet, verschläft man die Dinge."