Die Handelsminister konnten sich nicht auf Ceta einigen. Sie hoffen nun auf einen Durchbruch beim EU-Gipfel.
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Luxemburg. Das Revolutionslied aus "Les Misérables" schallt über den Europa-Platz. Ein Stück aus der Musical-Adaption von Victor Hugos "Die Elenden" hat Greenpeace als musikalische Untermalung für seinen Protest vor dem Ratsgebäude auf dem Luxemburger Kirchberg gewählt. An der gläsernen Hauswand baumeln vier Mitglieder der Umweltschutzorganisation; an Seilen hängend flankieren sie ein riesiges Transparent. Eine Handvoll Aktivisten trägt Plakate mit dem gleichen Text vor sich her. "Verhandelt nicht unsere Demokratie weg", steht darauf zu lesen.
Um Handel, den freien Handel zwischen der EU und Kanada geht es nämlich drinnen im Gebäude. Das Abkommen Ceta, gegen das Greenpeace draußen demonstriert, steht auf der Agenda der für Handel zuständigen EU-Minister. Dabei ist von vornherein klar, dass es bei dieser Sitzung keine Einigung geben wird. Der belgische Ressortleiter kann, darf nicht zustimmen. Ein Regionalparlament seines Landes, nämlich Wallonien, hat den Vertrag in der Vorwoche abgelehnt. Daher sind der Zentralregierung die Hände gebunden, fürs erste.
Vielleicht wird es bis zum EU-Spitzentreffen am Donnerstag und Freitag in Brüssel eine Lösung geben, damit Premier Charles Michel da seinen Amtskollegen mitteilen kann, der Weg für die Unterzeichnung des Abkommens beim EU-Kanada-Gipfel in der kommenden Woche ist geebnet. Möglicherweise haben die Wallonen bis dahin Zugeständnisse in den derzeit laufenden belgischen Budgetverhandlungen erhalten. Oder sie halten den Druck bis über das Wochenende aufrecht, um Michel bei der Sitzung hilflos auftreten zu lassen.
All diese Spekulationen schwirrten beim Ministertreffen in Luxemburg durch die Räume. Offiziell kommentieren wollte das belgische Regionalproblem freilich kaum ein Vertreter. Nicht einmal der belgische. Außenminister Didier Reynders erklärte lediglich, er hoffe auf Fortschritte und stehe in permanentem Kontakt mit dem wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette. Und der slowakische Wirtschaftsminister, dessen Land derzeit den EU-Vorsitz innehat, räsonierte über Belgiens Geschichte und transatlantische Beziehungen. Immerhin sei der nordeuropäische Staat eines der Gründungsmitglieder der Union, befand Peter Ziga. Außerdem müsse das Land Kanada doch nahe stehen, weil auch dort französisch gesprochen werde - wie gerade in Wallonien.
Das belgische Problem war aber nicht der einzige Stolperstein bei der Ministersitzung. Die war ursprünglich für nicht einmal zwei Stunden angesetzt, dauerte dann aber fast drei Mal so lang.
Bedenken bleiben
Bulgarien und Rumänien haben nämlich Bedenken, die allerdings nur lose an Ceta geknüpft sind. Sie wünschen sich Visaerleichterungen für ihre Landsleute bei Reisen nach Kanada - wie sie andere EU-Bürger bereits genießen. Die Kanadier dürften entsprechende Zusagen nun mit einer Zustimmung Belgiens zum Freihandelsabkommen verbinden.
Und dann musste das Treffen auch noch unterbrochen werden, um deutsche Einwände zu klären. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel berichtete über das Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe, das in der Vorwoche Bedingungen gestellt hatte, damit Deutschland den Vertrag unterzeichnen darf. Nun ist in einer Zusatzerklärung fixiert, dass ein Land unter bestimmten Umständen einseitig die vorläufige Anwendung des Abkommens stoppen kann.
So seien bei der Zusammenkunft rechtliche Fragen im Vordergrund gestanden und nicht inhaltliche Diskussionen, fasste es der österreichische Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner zusammen. Daher glaube er auch nicht, dass nun ebenfalls aus anderen Staaten neuerliche Forderungen nach einer Nachverhandlung kommen. Das wurde in Wien bestätigt. Bundeskanzler Christian Kern werde beim EU-Gipfel keine neuen Wünsche präsentieren, hieß es aus seinem Kabinett.
Zwischen den Parteien der beiden Politiker hatte es zuvor unterschiedliche Meinungen zu Ceta gegeben. Während die ÖVP für das Abkommen warb, musste der Widerstand dagegen in den Reihen der SPÖ mit rechtlichen Absicherungen aufgeweicht werden, die in einen "Beipacktext" geflossen sind. Unter anderem will auch Österreich festgehalten haben, dass es die vorläufige Anwendung von Ceta beenden kann. Mittlerweile hat die Regierung in Wien auch formal per Rundlaufbeschluss, den alle Minister unterfertigt haben, ihr Ja zum Abkommen gegeben.
Unmut in Kanada
So herrscht nun in Deutschland und Österreich, aber auch in der für die Verhandlungen über Handelsverträge zuständigen EU-Kommission die Zuversicht, dass Ceta nicht scheitern, sondern vielmehr beim Treffen mit den Kanadiern am 27. und 28. Oktober unterzeichnet werde. Jenseits des Atlantiks macht sich jedenfalls schon Ungeduld breit. Vor einigen Tagen brachte Ministerpräsident Justin Trudeau seine Verärgerung bei einem Presseauftritt zum Ausdruck: Wenn Europa sich unfähig zeige, "einen fortschrittlichen Handelspakt mit einem Land wie Kanada abzuschließen, mit wem glaubt Europa dann noch in den kommenden Jahren Geschäfte machen zu können?"
Jahre wird es allerdings sowieso dauern, bis Ceta komplett in Kraft treten kann. Zuvor muss das Abkommen nämlich im EU-Parlament angenommen und von den Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Dem wiederum müssen die nationalen Abgeordnetenhäuser zustimmen. Dass sich in einem von ihnen später wieder Bedenken regen, ist nicht ausgeschlossen.