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Aufgestiegen, abgestürzt und bald wieder ganz oben

Von WZ-Korrespondent Renzo Ruf

Politik

John Boehner winkt der Posten des Parlamentssprechers. | Washington. 20 Jahre sitzt John Boehner nun schon im US-Repräsentantenhaus. Doch noch immer ist der Republikaner, der nach den Zwischenwahlen mit einer Beförderung zum Präsidenten (Speaker) der großen Kammer rechnen kann, für viele Amerikaner ein unbeschriebenes Blatt. In den Zeitungs- und Magazinporträts, die wenige Tage vor dem erwarteten Erdrutsch publiziert werden, erfährt der Leser deshalb praktischerweise auch, wie der Familienname des Republikaners auszusprechen ist: "BAY-ner", "BAY-nar" oder "BAY-nur" lauten die populärsten Vorschläge.


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In Washington allerdings führt Boehner, derzeit Vorsitzender der 178 Abgeordnete zählenden Fraktion der Republikaner, kein Schattendasein. Ganz im Gegenteil: In der Hauptstadt gilt der bald 61-Jährige als einer der einflussreichsten politischen Strippenzieher. Freunde wie Feinde halten ihm zugute, dass er in den vergangenen zwei Jahren das schier Unmögliche zustande brachte - Boehner gelang es, seine Fraktion zusammenzuhalten und die demoralisierten Republikaner nach der vernichtenden Niederlage in der Wahl 2008 wieder aufzupäppeln, indem er einen knallharten Oppositionskurs steuerte. Nötigenfalls greift der zweifache Familienvater dabei auch zur rhetorischen Motorsäge: In schlechter Erinnerung ist seine Tirade im Repräsentantenhaus kurz vor der Schlussabstimmung über die Gesundheitsreform, in der er im März 2010 in die Kammer bellte: "Hell no, you cant."

Ruf eines Bonvivants

Die Karriere von John Boehner ist eine Ansammlung von Widersprüchen. Er gilt als Bonvivant: ein passionierter Golfspieler, der großen Wert auf ein gepflegtes Äußeres und Maßanzüge legt und auch mitten im Winter tief braungebrannt ist. Die flapsigen Bemerkungen, die daruuf beruhen, werden dem Abgeordneten allerdings nicht gerecht. Seit seiner Jugend - er ist eines von 12 Kindern einer katholischen Familie aus Cincinnati und musste bereits als Zehnjähriger in der Bar seines Vaters mit anpacken - ist John Boehner zielstrebig unterwegs. Als erstes Mitglied seiner Familie schloss er ein College ab, bevor er Karriere in einem Kleinunternehmen machte, das er schließlich übernahm. In den Achtzigerjahren stieg er, mittlerweile in einem wohlhabenden Vorort von Cincinnati lebend, in die Politik ein. Nach einer Zwischenstation im Parlament des Staates Ohio folgte 1990 der Sprung ins Repräsentantenhaus in Washington. Auch dort stieg Boehner rasch auf: Zusammen mit dem Chefideologen Newt Gingrich schrieb er das Wahlprogramm "Contract With America".

Und dann kam der Karriereknick. 1998 wurde Boehner dabei erwischt, wie er hinter verschlossenen Türen einer vorzeitigen Ablösung von Speaker Gingrich das Wort redete. Er wurde demontiert. Als Präsident einer Subkommission für Bildungsfragen, gelang ihm allerdings sein größter Triumph: Die Reform der nationalen Bildungspolitik, bekannt geworden unter dem Titel "No Child left behind", in der er mit einem rechten Präsidenten (George W. Bush) und einem linken Senator (Ted Kennedy) ein Gespann bildete.

2006 waren seine Fraktionskollegen bereit, ihm eine zweite Chance zu geben. Boehner wurde zum Mehrheitsführer gewählt - der Posten, auf den er nun zurückkehren dürfte, wenn ihn Nancy Pelosi durch eine Wahlniederlage der Demokraten verliert.