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Aufhebung des Vetorechts bei Massenverbrechen

Von Pascal Teixeira da Silva

Gastkommentare
Pascal Teixeira da Silva ist französischer Botschafter in Wien.

Frankreich macht sich für Reformierung des UN-Sicherheitsrates stark, um künftig Blockaden zu verhindern.


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Die Vereinten Nationen feiern heuer ihr 70-jähriges Bestehen. Ein Anlass für Frankreich, daran zu erinnern, wie sehr dem Land am Multilateralismus und an der zentralen Rolle der UNO im Dienste von Frieden und Sicherheit liegt und insbesondere an der Rolle des Sicherheitsrates, des damit befassten Organs. Frankreich befürwortet schon länger eine Reformierung des Sicherheitsrates. Durch die Erweiterung beider Mitgliedskategorien - der ständigen und der nichtständigen Mitglieder - wäre er repräsentativer, seine Durchschlagskraft optimiert. In dieser Hinsicht bleibt der Sicherheitsrat, obwohl die Generalversammlung vor zehn Jahren das Prinzip der Schutzverantwortung angenommen hat, manchmal aufgrund eines Vetos oder dessen Ankündigung seitens eines ständigen Mitglieds blockiert und kann die entsprechenden Entscheidungen im Falle von Massenverbrechen nicht treffen. So geschehen in Zusammenhang mit dem Konflikt in Syrien mit mehr als 220.000 Todesopfern, wo schließlich das schlimmste Szenario eintrat: der Einsatz von chemischen Waffen gegen die Zivilbevölkerung. Der UN-Sicherheitsrat war machtlos.

Angesichts dieser zu verurteilenden Situationen hat Frankreich einen ehrgeizigen und einfachen Vorschlag präsentiert: eine selbstauferlegte, kollektive Vetorechtseinschränkung für die fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats, ohne Abänderung der Charta. Konkret heißt das: Wenn der Sicherheitsrat mit einem Fall von Massenverbrechen (Genozid, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, großformatige Kriegsverbrechen) befasst wird, verpflichten sich die fünf ständigen Mitglieder, auf ihr Vetorecht zu verzichten. Um die Aufhebung des Vetos zu erwirken, muss die Situation mittels Bescheid durch den UN-Generalsekretär, den Menschenrechtskommissar oder den Sonderberater des Generalsekretärs für die Verhütung von Völkermord oder zur Schutzverantwortung sowie durch eine Anfrage einer festgelegten Mindestzahl von UN-Mitgliedstaaten (zum Beispiel 50), objektiviert werden. Um das bei der Gründung der UNO eingerichtete Gleichgewicht nicht zu stören, ist - wie es bereits eine Gruppe hochrangiger Persönlichkeiten 2004 im Bericht über die Reform der UNO vorgeschlagen hat - auch eine Ausnahme vorgesehen für den Fall, dass lebenswichtige Interessen eines ständigen Mitglieds betroffen wären.

Die Charta hat den ständigen Mitgliedern das Vetorecht aus Sorge um die Realpolitik zugesprochen. Aber diese Macht muss ihren Gegenpart finden in der im Lichte international anerkannter Normen abzuwägenden Verantwortung. Dazu gehört die Vermeidung von Massenverbrechen. Die Dreifachverpflichtung ist eine juristische, politische und moralische. Wird das Veto zum Hindernis, steht die Legitimität des Sicherheitsrates auf dem Spiel, der im Namen der UNO die beauftragte Institution für die Hauptverantwortung zur Aufrechterhaltung von internationalem Frieden und Sicherheit ist.

Diese Initiative Frankreichs wird schon jetzt von rund 40 UN-Mitgliedstaaten und zahlreichen NGOs ausdrücklich unterstützt. Frankreich unterschätzt die Schwierigkeiten nicht; trotzdem ist der 70. Jahrestag der Vereinten Nationen ein günstiger Zeitpunkt zur Mobilisierung in diese Richtung. Wir rechnen mit dem Engagement aller.