Zum Hauptinhalt springen

Aufholjagd im Internet

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik
Ende der 1980er sollte das Programm ESPRIT die Computer-Fähigkeiten der Europäer verbessern. Danach hat man manches verschlafen.
© EU

Die EU-Kommission drängt auf die Errichtung eines digitalen Binnenmarktes.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Brüssel. Andrus Ansip und Frans Timmermans tauschen Kurznachrichten aus. Kristalina Georgieva tippt einen Tweet. Jyrki Katainen schreckt zurück, als er auf seinem Bildschirm den Preis für den Versand eines Buches sieht, der mehr kostet als das Werk selbst. Und Jean-Claude Juncker übt sich in Selbstironie, bevor er zum Tablet greift. Die Botschaft lautet: Sogar angegraute Herren, wie der Präsident der EU-Kommission einer ist, wissen, dass neue Technologien die Zukunft sind.

Mit einem kurzen Video werben Juncker und seine Kommissare für die Schaffung eines digitalen Binnenmarktes. Der dafür zuständige Ressortleiter Andrus Ansip präsentierte in Brüssel die entsprechende Strategie. Immerhin könnte ein solcher gemeinsamer Wirtschaftsraum ein zusätzliches Wachstum von bis zu 415 Milliarden Euro bedeuten, schätzt die Kommission. Konsumenten würden davon ebenfalls profitieren: Beim Online-Einkauf könnten sie fast zwölf Milliarden Euro jährlich sparen, wenn sie aus einer Vielfalt von Waren und Dienstleistungen wählen könnten.

Doch von einem digitalen Binnenmarkt ist die EU noch entfernt - und in der globalen Internet-Wirtschaft hinkt sie hinterher. Die Gemeinschaft müsse ihre "digitale Souveränität" zurückgewinnen, forderte daher Internet-Kommissar Günther Oettinger. Die USA hätten schon eine Strategie; Japan, China und Südkorea liefen parallel dazu. In der EU aber treffen Verbraucher und Unternehmen nach wie vor auf zahlreiche Barrieren, wie die Kommission hervorstreicht.

So würden kleinen Betrieben Extrakosten in Höhe von fast 10.000 Euro entstehen, wenn sie ihre Produkte online in anderen EU-Ländern anbieten wollten. Unterschiedliche nationale Regelungen zur Mehrwertsteuer würden den Handel ebenfalls erschweren. Daher machen grenzübergreifende Online-Dienste in der EU derzeit lediglich vier Prozent aus. Den Markt dominieren in den USA angesiedelte Anbieter, die mehr als die Hälfte der Dienste stellen. Einen Anteil von 42 Prozent haben nationale Plattformen.

Um dies zu ändern, schlägt die Kommission ein Maßnahmen-Paket vor, dem die Mitgliedstaaten noch zustimmen müssen. Geht es nach der Brüsseler Behörde, sollen künftig etwa die Regeln für Online-Shopping harmonisiert und die Kosten für Paketzustell-Dienste gesenkt werden. Ein "modernes digitales Urheberrecht" gehört ebenso zu den Plänen wie der Ausbau von Breitbandnetzen. Eindämmen will die Kommission hingegen das sogenannte Geoblocking, das Nutzern bestimmte Inhalte in einem anderen Land verwehrt oder sie automatisch auf andere Websites umleitet, die unter Umständen teurer sind.

Sorge um Datenschutz

Ob die Staaten das Vorhaben unterstützen werden, ist allerdings noch offen. Das Ringen um neue Vorschriften für den Datenschutz oder Regeln zur Netzneutralität zeigt, wie mühsam eine Einigung ist. Seit Jahren schon arbeiten die EU-Institutionen an neuen Gesetzen dazu.

Im EU-Parlament fielen die Kommentare zur Strategie der Kommission aber schon durchgehend positiv aus. Die meisten Gruppierungen betonten, dass die EU schnell handeln müsse, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Während ÖVP-Industriesprecher Paul Rübig vor allem Anreize für Innovationen und Infrastruktur-Ausbau forderte, wies der Vize-Fraktionsvorsitzende der Sozialdemokraten, Jörg Leichtfried, auf die Notwendigkeit von Chancengleichheit hin. Von der "digitalen Revolution" müssten alle profitieren können: Zugang zum Internet und Ausbildung müssten sichergestellt sein. Die Grünen wiederum vermissen "klare Neutralitäts-Verpflichtungen für Anbieter", um die Rechte von Wettbewerbern und Verbrauchern zu wahren.

Darauf pochen auch Konsumentenschützer. Sie hegen außerdem Befürchtungen, dass der Schutz persönlicher Daten geschwächt werden könnte. Umgekehrt orten Wirtschaftsvertreter mehr Chancen für Unternehmen. Der Industrie-Dachverband Businesseurope etwa unterstreicht die Möglichkeiten, die sich aus einer Vernetzung von Produkten und Abläufen ergeben. Die Digitalisierung könnte der Wirtschaft einen neuen Schub geben und Arbeitsplätze schaffen.