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Die europäischen Regierungschefs werden in den kommenden 24 Stunden einige unangenehme Entscheidungen zu treffen haben. Unter anderem deswegen, weil sie sich jahrelang vor solchen gedrückt haben.
Dabei geht es nicht um Staatsschulden, sondern um den Umgang mit der Finanzindustrie. Der Vergleich mit der "realen Industrie" macht dabei sicher. Die Chemieindustrie kann auch nicht ein neues Werk irgendwo in die Landschaft bauen. Dazu muss gewidmeter Industriegrund vorhanden sein. Das Werk muss gewerberechtlich genehmigt werden, dazu gehören Umweltauflagen, Sicherheitsbestimmungen und eine genaue Beschreibung der Produktionsbedingungen. Das erzeugte Produkt muss Mindeststandards erfüllen. Nicht umsonst sind heute manche Pflanzenschutzmittel verboten, die vor zehn Jahren noch auf dem Markt waren. Die Industrie unterwirft sich diesen Bestimmungen, ohne zu murren, dass damit das freie Unternehmertum eingeschränkt wird.
Die Finanzindustrie kennt nichts davon. Neue Produkte werden einfach verkauft und/oder gehandelt. Ob die Emission in Wien oder Jersey ausgegeben wird, spielt keine Rolle. Welche Auswirkungen diese Finanzgeschäfte haben oder welche Risiken damit verbunden sind - wurscht.
Und im Großen und Ganzen funktioniert diese Finanzindustrie immer noch so - Krise hin oder her. Da werden zum Beispiel Finanzwetten in sehr hohen Milliardenbeträgen abgeschlossen, dass Griechenland-Schulden um 20, 30 oder 50 Prozent nachgelassen werden. Die Finanzindustriellen selbst haben den Überblick darüber verloren, was sie alles tun.
Wenn also die europäischen Regierungschefs nun die diffizile Frage lösen müssen, welche Form der Griechenland-Sanierung optimal sein könnte (vorher weiß es ja keiner), dann sollten sie auch den Mut aufbringen und etliche Geschäfte schlicht für erloschen erklären. Dann werden etliche Spekulanten Milliarden verlieren, mancher Fonds und manche Bank wird deswegen vielleicht pleitegehen. Und womit? Mit Recht.
Den Regierungschefs muss für den Euro-Sondergipfel am heutigen Donnerstag eines klar sein: Nicht sie sind es, die vor harten Entscheidungen stehen, sondern die 500 Millionen Bürger des Kontinents.