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Es sind eigenartige Zeiten: Einerseits intensiviert sich die Empörungskultur politisch und kulturell, andererseits beklagen wir politisches Desinteresse.
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Künstler und Künste finden zu vordergründigen Politaktionen, gleichzeitig schwelgt die Szene in stereotypen Unterhaltungshäppchen ohne eigene Stimme, ohne eigenes Profil, präfabriziert, leicht konsumierbar. Offenbar schließt das eine das andere nicht aus. Als Extrem sind beide Seiten jeder seriösen Auseinandersetzung abhold. Es gibt kaum noch Diskurse; die Debattenkultur liegt am Boden. Schreie, zornige Wutausbrüche mögen als authentisch empfunden werden, ersetzen aber keine Argumente.
Das Gieren nach Erfolg, das heißt Profit, behindert Experimentieren, legt allzu schnell fest auf Kalkulierbares. Paradoxerweise sinkt die mögliche Vielfalt, wächst der Einheitsbrei. Dies wiederum führt zu fanatischen Versuchen, dennoch Aufmerksamkeit auf sich zu lenken: Die Lautstärke nimmt zu, nicht aber die Qualität der Aussagen und Argumente oder der Artefakte.
Diesem Aufmerksamkeitshaschen kommt eine rigide Dichotomie, eine moderne Art von Manichäismus zuschlechte. So schnell wie die elektronische Kommunikation wird etikettiert, abgeurteilt, verurteilt. Das authentische Gefühl verschafft sich Ausdruck im "shitstorm": Man kübelt zu, überschüttet, ertränkt. Die Etiketten ersetzen Denken und Unterscheiden. Sie sind simple Orientierungsmarken für die Massen, die sie willkommen nutzen. Statt Differenzieren, Abwägen, Nuancen gelten Verrohung und die Härte des Kampfes nach dem aufgefrischten Bild eines vulgär verstandenen Sozialdarwinismus. In dieser Instant-Empörungskultur blühen nicht nur Wutbürger, Okkupanten und Piraten auf, sondern auch Mitläufer und Schreibtischtäter sowie die typischen Korrekten, die PCs. Es ist ja alles so einfach, so offen, dass kein Raum für Toleranz und Denken bleibt. Denken erfordert Zeit. Die hat man nicht (höchstens für die Jagd nach Profit oder Aufmerksamkeit). Intoleranz, Rechthaberei, Richterei triumphieren.
Eigentümlich, dass vielen Vertretern dieser Schnellnichtdenker oder Kurzseher der tiefe Widerspruch nicht aufstößt in ihren propagierten Rufen nach Integration, Verständnis, Interkulturalität, Würde und Freiheit oder wie die Schlüsselbegriffe sonst noch heißen. Integration durch Entsorgung? Verständnis durch Schmähung und Aburteilung? Wie steht’s mit der Verantwortung bei diesen oberflächlichen aber wirkungsvollen Aposteln?
Hier hetzt eine Netzmeute zum Lynchmord, dort, etwas "gesitteter", belässt sie es (noch) beim Rufmord. Die meisten fühlen sich im Recht - und das scheint alles zu rechtfertigen. Der Zweck heiligt die Mittel. Diese inhumane Devise hat Geschichte. Dass trotz Toleranz Kritik möglich wäre, auch harte, dämmert den Selbstgerechten nicht, auch nicht, dass Verantwortung kein entleerter Begriff sein müsste. Dafür regiert Wut. Wut engt das Blickfeld ein, ähnlich der Angst. Bleibt es dabei, folgt nur noch Hass. Anders Behring Breivik demonstriert das eindrücklich. So wie er denken wahrscheinlich viele. Nur von der Umsetzung, der Exekution schrecken sie noch zurück. Hass aber ist keine gute oder brauchbare Ausgangsposition für das, was wir nötig haben: Reife und Verantwortlichkeit.