Tenor beim Abschiedsbesuch bei der Kanzlerin: Kurz und Merkel setzen auf Hilfe in Afghanistans Umgebung.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 3 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Berlin/Wien. Wehmut war beim Abschiedsbesuch nicht zu verspüren. Routiniert spulten Angela Merkel und Sebastian Kurz ihr Programm ab, auch wenn am Dienstag der letzte bilaterale Besuch des österreichischen Kanzlers bei seiner deutschen Amtskollegin auf dem Programm stand. Derzeit befindet sich für beide Regierungschefs aber nicht die Bundestagswahl in knapp vier Wochen im Mittelpunkt des Interesses, bei der Merkel nach knapp 16 Jahren im Amt nicht mehr antritt. Die Aufmerksamkeit richtet sich vor allem auf die Krise in Afghanistan.
Der ÖVP-Chef und die einstige Vorsitzende der Schwesterpartei CDU lassen keinen Zweifel daran aufkommen, dass sie massive Migrationsbewegungen aus dem Land am Hindukusch Richtung Europa unterbinden wollen. "Österreich hat sehr viel geleistet", sagte Kurz, und verwies auf die "viertgrößte afghanische Community" weltweit. Mehr als 40.000 Personen waren laut UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR Ende 2020 hierzulande registriert. Laut dem Kanzler wurde die humanitäre Hilfe "aufgestockt, wie wir es noch nie getan haben". 18 Millionen Euro wurden als Soforthilfe für Afghanistan und die Nachbarstaaten zur Verfügung gestellt. Mit jenen Ländern sei Österreich in "intensivem Kontakt" über die Versorgung von vor den Taliban flüchtenden Personen.
Nachbar Pakistan kalmiert
Mehr als eine halbe Million Binnenflüchtlinge seien dem UNHCR zufolge in diesem Jahr hinzugekommen, insgesamt gebe es mittlerweile drei Millionen Binnenflüchtlinge in Afghanistan. Deutschlands Außenminister Heiko Maas lotet derzeit in der Region die Aufnahmebereitschaft der Nachbarstaaten aus, zu denen der Iran und Pakistan zählen. Usbekistan weist derweil Geflüchtete ab. Merkel erklärte in der Pressekonferenz mit Kurz, dass sie mit Pakistans Premier Imran Khan die Lage erörtert habe. Was die Kanzlerin nicht sagte: Pakistan verlangt von Afghanen für die Einreise Visa und schloss einen Grenzübergang. Auch spielt der Nachbar die Gefahr der militanten Islamisten herunter. Außenminister Shah Mehmood Quereshi ortet Hinweise, dass die Taliban anders seien als in den 1990ern. Denn Pakistan beherbergt bereits mehr als drei Millionen Afghanen, hat an einer neuen Flüchtlingsbewegung genauso wenig Interesse wie der Westen.
Große Ausnahme dort sind die Ortskräfte, jene Afghanen, die direkt oder indirekt für westliche Regierungen arbeiteten und zuletzt fieberhaft ausgeflogen wurden. Neben den noch verbliebenen Ortskräften stellt sich die Frage, inwieweit andere Gefährdete, etwa Menschenrechtler, außer Landes gebracht werden sollen. Merkel sprach am Dienstag von bis zu 40.000 Menschen, jedoch auch, dass darüber hinausgehende Personenkreise primär "in der Nähe ihrer Heimat" versorgt werden müssten.
Die Regierung in Berlin baut daher derzeit mit anderen europäischen Partnern - darunter Frankreich und Großbritannien - Gesprächskanäle mit den Taliban auf. Merkel erachtet dabei aber die Frage nach Kontingenten zur Aufnahme als verfrüht. Auch ihr Innenminister Horst Seehofer äußerte sich gleichlautend am Rande eines Treffens mit seinen EU-Ressortkollegen. Für den ÖVP-Teil der Bundesregierung machte Kurz in Berlin nochmals deutlich, dass keine einzige weitere Person aus Afghanistan aufgenommen werden soll. (da)