Die Aufsehen erregende Verteilung des Korans in Deutschland böte Anlass, sich erheblich mehr um die Integration der Muslime zu kümmern.
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Religions- und Meinungsfreiheit erlaubten den Salafisten, in Deutschland an die 300.000 von Saudi-Arabien bezahlte Koran-Bücher zu verteilen. Das weckte Aufregung, weil die Salafisten die radikalste Ausprägung des Islams sind, den Koran wörtlich nehmen sowie kompromisslos die Rückkehr "zur Ordnung der Ahnen" und einen Gottesstaat fordern. Die rund 4000 deutschen Salafisten sind mit den Taliban und Al-Kaida Teil eines Netzwerks, zu dem alle 9/11-Attentäter gehörten.
Die Aufregung passte in die Strategie der Salafisten: Aufsehen erregen, durch betont liebenswürdiges Auftreten Sympathisanten werben, vielleicht Konvertiten und Aktivisten gewinnen. Entwurzelte und gesellschaftlich frustrierte junge Menschen bieten sich als lohnende Zielgruppe an. Zwar ist der Koran keine unterhaltsame Lektüre, aber vielleicht verfängt Allahs Offenbarung: "Zweifelt nicht am Koran, denn er ist die Wahrheit von deinem Herrn", also Gottes Wort (Sure 11, Vers 18). Daher erlangen die Kämpfer für Allah das Paradies, in dem als Lohn "Ströme von Wein fließen" (47, 16). Für Irdische ist aber "Wein ein gräuliches Satanswerk - meidet es" (5, 91). Das mag Menschen in einer säkularen Gesellschaft verwirren. Gleichwohl klingt die Verheißung für Glaubenskämpfer verlockend, dass sie im Paradies "Jungfrauen mit großen schwarzen Augen und schwellenden Busen als Lohn für ihr Tun bekommen" (56, 24).
Widersprüchlich muten die Vorschriften für das Verhalten gegenüber Ungläubigen an: Sie "sollen siedendes Wasser trinken" (10, 5) und "wer zur Horde der Ungläubigen gehört, dem ist das Höllenfeuer sicher" (11, 18). Hingegen: "Zwingt keinen zum Glauben, da die wahre Lehre vom Irrglauben ja deutlich zu unterscheiden ist" (2, 257) und "ob Allah die Ungläubigen ausrotten, sich ihrer annehmen oder sie bestrafen soll - das geht dich nichts an" (3, 128). Trotzdem: "Geht hinaus und kämpft für die Religion Allahs. Wenn ihr nicht mit Gut und Blut zum Kampf auszieht, wird euch Allah schwer bestrafen" (9, 38).
In "Gottesstaaten" schreibt die Sharia streng nach dem Koran vor, "Dieben die Hände abzuhacken" (5, 91), Ehebrecher öffentlich auszupeitschen (24, 2) und "Männer vor Frauen zu bevorzugen" (4, 35). Denn Frauen sind "euer Acker, geht auf euren Acker wie und wann ihr wollt" (2, 24).
Das dürfte "Ungläubige" kaum, vielleicht jedoch "säkularisierte" oder "laxe" Muslime anziehen, die in unserer Welt nicht Fuß fassen können. Sie suchen sinnvolle Aufgaben und soziale Anerkennung.
Als Reaktion auf die Koran-Aktion der Salafisten in Deutschland wäre statt Aufregung taktisch klüger gewesen, das Vorurteil nachhaltig zu bekämpfen, dass in jedem Moslem ein radikaler Islamist, ein potenzieller Terrorist oder ein Verweigerer der Integration stecken könnte. Und wo bleibt die Prüfung, ob die Salafisten nicht den Koran für ihre politischen Zwecke manipuliert haben? Mehr brächte jedenfalls, sich in intensiver Zusammenarbeit mit islamischen Organisationen um jene Muslime zu kümmern, aus denen die Salafisten Gotteskämpfer machen wollen.