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Aufreiben zwischen "Links" und "Rechts"

Von Martin Tschiderer

Politik

An ihrem Parteitag stellen die Neos die Weichen für die kommenden Monate - und werden auch um einen von außen herangetragenen Konflikt nicht herumkommen.


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Über längere Zeit waren die Neos die auffälligste Oppositionspartei. Die SPÖ beschäftigte sich nach dem Abschied aus der Regierung 2017 viel mit sich selbst - und tut das auch heute noch häufig. Nicht zuletzt, weil Bundesvorsitzende Pamela Rendi-Wagner es nie zu vollem Rückhalt aus ihrer Partei brachte. Noch mehr mit sich selbst beschäftigt war die FPÖ nach Ibiza-Skandal, Parteichef-Rücktritt, Zusammenbruch der türkis-blauen Regierung und diversen internen wie externen Nachwehen. Die Neos fielen dagegen mit recht geordneter Oppositionsarbeit auf und waren dabei oft präsenter als die deutlich größeren Mitbewerber SPÖ und FPÖ. Interne Konflikte drangen praktisch nie an die Öffentlichkeit, Parteichefin Beate Meinl-Reisinger sitzt seit drei Jahren fest im Sattel.

Zuletzt wurde es aber etwas ruhiger um die Neos. Der Ibiza-U-Ausschuss verschafft der Partei zwar seit langen Monaten eine reichweitenstarke Bühne, und Fraktionsvorsitzende Stephanie Krisper war auch abseits des omnipräsenten Ausschusses sehr präsent - etwa rund um die Abschiebungen dreier Mädchen und ihrer Familien im Jänner und bereits in den Jahren zuvor im BVT-U-Ausschuss, in dem sich die Juristin nachhaltig als parlamentarische Aufdeckerin profilieren konnte.

Die eigenen Themen der Neos wollten aber gerade in der Pandemie nicht so recht durchdringen, obwohl Meinl-Reisinger regelmäßig durchaus lautstark etwa raschere Öffnungen für Wirtschaft und Schulen forderte. Neben der neuen noch deutlich lauteren Radikalopposition der FPÖ gegen das türkis-grüne Pandemiemanagement und die Corona-Maßnahmen gingen die Rufe in Pink aber häufig unter. Und auch die sonst zurückhaltende Oppositionschefin Rendi-Wagner wurde in der Pandemie als ausgebildete Tropenmedizinerin plötzlich vielfach gehört und konsultiert.

Leitantrag und Umbau im Parteivorstand

Bei ihrem zweitägigen Parteitag ("Mitgliederversammlung" heißt das im Neos-Sprech) am Freitag und Samstag in Linz soll nun der Kurs für die kommenden Monate gesetzt werden. Meinl-Reisinger wird sich erneut zur Parteichefin wählen lassen und darf auf ein solides Ergebnis hoffen. Ein neuer Leitantrag ("Für einen echten Neustart in Österreich") steht zur Abstimmung und soll die groben politischen Weichen für die nächste Zeit stellen. Um wirtschaftspolitische Reformen wird es dabei gehen, um heimische Unternehmen nach eineinhalb Jahren Pandemie und mitten in der Wirtschaftskrise. Auch das Neos-Steckenpferd Bildung wird zentral vorkommen. "Die Krise hat gezeigt, wo die Missstände liegen", sagt der stellvertretende Klubchef Nikolaus Scherak zur "Wiener Zeitung". Es brauche nun etwa Steuersenkungen, eine Reform der Gewerbeordnung und eine Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten.

Am Parteitag soll zudem ein größerer Umbau im Parteivorstand beschlossen werden. Scherak und Sepp Schellhorn hören als Parteichef-Stellvertreter Meinl-Reisingers auf. Der Wiener Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr und die Salzburger Landesrätin Andrea Klambauer sollen folgen. Man wolle damit die eigene Weiterentwicklung abbilden, ist aus der Partei zu hören - Personen mit Regierungsverantwortung sollen erweiterte Perspektiven in die Spitze der Oppositionspartei bringen. Auch Europaabgeordnete Claudia Gamon, der stellvertretende Klubobmann Gerald Loacker und die Innsbrucker Gemeinderätin Julia Seidl kandidieren für den Vorstand. Dass auch programmatische Auffassungsunterschiede eine Rolle für die Wechsel an der Parteispitze gespielt haben könnten, wird gegenüber dieser Zeitung vielfach verneint. "Es macht einfach Sinn, die Funktionen breiter zu verteilen" sagt Scherak, der sich aus dem Parteivorstand zurückzieht, aber stellvertretender Klubchef bleibt.

Und das große politische Ganze? Liberalismus ist unteilbar, sagen Neos-Mitglieder gerne, oder "liberal ohne Bindestrich", ein Zitat von FDP-Chef Christian Lindner. Gemeint ist die Abgrenzung zu Begriffen wie "linksliberal" oder "liberal-konservativ", die Vertreter liberaler Parteien gar nicht gerne hören - oder deren Existenzberechtigung sie überhaupt in Abrede stellen. Das Lindner-Zitat hört man dagegen oft, wenn man mit Politikerinnen und Politikern der Neos spricht. Denn ihren Liberalismus zu "erklären", oder mit Links- und Rechts-Schemata konfrontiert zu werden, geht vielen nach all den Jahren schon ziemlich auf die Nerven. Besonders, weil das Thema vor allem von außen aufgebracht wird.

In der wahlstrategischen Zwickmühle

Das ändert aber nichts daran, dass diese Zuschreibungen kommen. Im Gegensatz zu ihrer Anfangszeit, als die Partei vor allem für liberales ÖVP-Klientel attraktiv schien, werden die Neos heute oft eher als "wirtschaftsliberale Grüne" wahrgenommen - was aktuell auch an der starken Präsenz Krispers liegt, die gerade bei Menschenrechten und Asyl traditionelle "grüne" Themen besetzt. Diese Wahrnehmung bringt den Neos zwar auch Sympathien in der "linken Reichshälfte". Das Kreuzerl am Wahltag macht dieses Wählersegment - vor allem in Kenntnis der wirtschaftsliberalen Neos-Agenda - in der Regel aber doch bei SPÖ oder Grünen. Bürgerlich-konservative Wählergruppen, die auf eine "wirtschaftsliberalere ÖVP" gehofft hatten, empfinden die Neos ob ihres Engagements für eine liberale Gesellschaftspolitik (Ehe für alle, LGBTIQ-Rechte etc.) und Grund- und Menschenrechte - gerade beim Migrations- und Asylthema - indessen häufig als "zu links". Ein ewiges Dilemma, wenn es um das Ergebnis am Wahlabend geht.

"Das ist ein bisschen das Schicksal liberaler Parteien", sagt der Nationalratsabgeordnete Yannick Shetty zur "Wiener Zeitung". "Wie bei einem Scheidungskind, das vor dem Papa immer die Mama verteidigt und vor der Mama den Papa." Politisch ständig in Erklärungsnot also - in der einen wie in der anderen Ecke. "Ich würde die Frage ja eher umdrehen", sagt Scherak dazu. "Die Wähler müssten sich eigentlich fragen, wo die ÖVP unter Sebastian Kurz noch wirtschaftsliberal ist".

Social-Media-Präsenz als Streitpunkt

Die Zuschreibungen von außen wird man jedenfalls auch in internen Diskussionen nicht ganz los. Konflikte entzünden sich vor allem an der Frage, worauf in der Öffentlichkeit wie viel Fokus gelegt werden soll, ist aus der Partei zu hören. Die starke Präsenz des Ibiza-U-Ausschusses gefällt nicht jedem. Manches Mitglied würde die Neos lieber stärker mit großen Reformvorschlägen wahrgenommen sehen. Nicht zuletzt auch, weil die ÖVP den U-Ausschuss "nützte", um die Partei als Radikalopposition darzustellen, die stets nur kritisiere. Social Media ist ein weiteres internes Thema. Denn einzelne Abgeordnete verfügen auf ihren Kanälen über höhere Reichweiten als die offiziellen Partei-Accounts. Das verengt die öffentliche Wahrnehmung der Partei mitunter auf die Themen einzelner Mandatare und Mandatarinnen.

Auf der Habenseite können die Neos mit engagiertem und fachlich qualifiziertem Personal aufwarten. Die sachpolitische Kenntnis der jungen Truppe kommt gerade unter Akademikern und in urbanen Bobo-Zirkeln - beides Neos-Kernzielgruppe - gut an. Nachteil: Die starke Abhängigkeit von diesen Milieus beschränkt auch die Luft nach oben bei den Wahlergebnissen. Über gute 8 Prozent kamen die Neos bei Nationalratswahlen bislang nicht hinaus. Auch wenn die im Vergleich zu Deutschland oder der Schweiz mangelnde Tradition eines liberalen Lagers in Österreich ihr Scheibchen dazu beitragen dürfte: Ihre Mandatsstärke bleibt die größte Neos-Hypothek für die Beteiligung an einer künftigen Bundesregierung.