Was den Wirtschaftsboom in Deutschland beenden könnte.
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Berlin. (reu) Deutschland brummt: Die Wirtschaft ist 2017 bereits das achte Jahr in Folge gewachsen. 2018 dürfte allen Prognosen zufolge das neunte Wachstumsjahr folgen. Weder die Euro-Krise noch die zwischenzeitliche Flaute der Weltwirtschaft oder der Schock nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten konnten Europas größte Volkswirtschaft bislang aus dem Takt bringen. Kann an der Teflon-Ökonomie etwas haften bleiben, das sie zum Schrumpfen bringt? Experten erwarten dies weder für heute noch morgen, warnen aber vor mittelfristigen Risiken.
Holger Schmieding sieht vor allem externe Gefahren. "Unser Aufschwung wird wohl durch einen Schock von außen, beispielsweise eine US-Rezession 2020 oder 2021, beendet - und nicht als Folge einer überhitzten Konjunktur daheim", sagt der Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Jenseits des Atlantiks dauert der Aufschwung noch länger. "In den USA ist das Risiko deshalb wesentlich größer als bei uns, dass es zu Übertreibungen bei Krediten, Investitionen, im Wohnungsbau oder bei Immobilienpreisen kommt, die in einer Rezession danach bereinigt werden müssten", erklärt Schmieding. Damit einhergehen könnte ein starker Inflationsdruck, "den die Zentralbank beantworten müsste, indem sie die Konjunktur abwürgt" - etwa durch deutlich höhere Zinsen.
Auch Andreas Rees geht davon aus, dass am ehesten die Vereinigten Staaten der deutschen Konjunktur gefährlich werden könnten. "In den USA könnten Steuersenkungen dem Aufschwung im kommenden Jahr neue Impulse verleihen, aber danach könnte es nachlassen", meint der Deutschland-Chefvolkswirt der Großbank UniCredit. "Schließlich stecken die USA im drittlängsten Aufschwung der vergangenen hundert Jahre." Geht dieser zu Ende, könnte auch die Weltwirtschaft langsamer wachsen. Und Deutschland ist als Export-Europameister auf einen florierenden Welthandel angewiesen - besonders mit dem wichtigsten Kunden USA. Denn trotz des Aufstiegs von China sind die Vereinigten Staaten noch immer der Taktgeber für die Weltwirtschaft: Läuft es dort schlecht, spüren das auch andere Länder.
Hausgemachte Probleme
"Hinzu kommt der für 2019 geplante EU-Austritt der Briten", ergänzt Rees. "Hier kann es zu Unsicherheiten kommen." Großbritannien ist ebenfalls ein wichtiger Absatzmarkt für die deutschen Exporteure - nach den USA und Frankreich der drittgrößte mit einem Volumen von zuletzt 86 Milliarden Euro im Jahr. "Großbritannien wächst schon jetzt nicht mehr so stark und wird von der Euro-Zone abgehängt." Einigen sich die Briten nicht auf einen geordneten EU-Abschied, drohen Handelshemmnisse, Dämpfer für die Exporte und stockende Investitionen.
Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer hingegen rechnet eher damit, dass Deutschland durch hausgemachte Probleme vom Weg des Aufschwungs abkommen kann. "Wir haben eine gewisse Selbstzufriedenheit. Unter der glänzenden Oberfläche aber sieht es schon nicht mehr ganz so gut aus." In der Rangliste der wettbewerbsfähigsten Standorte der Welt rutschte Deutschland in den vergangenen drei Jahren vom sechsten auf den 13. Platz ab, wie aus einer Studie der Schweizer Business School IMD hervorgeht.
Bei Investitionen in die für die Digitalisierung wichtige Telekommunikation wird sogar ein Platz unter den ersten 50 verfehlt. Arbeit verteuert sich zudem stärker als in der Europäischen Union: 2016 zogen die Arbeitskosten hierzulande um 2,5 Prozent an, in der EU um 1,9 Prozent. "Es gibt eine ganze Reihe von Fehlentwicklungen, die irgendwann zum Tragen kommen werden", betont Krämer.
Das schätzt der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) genauso ein: "Aus Sicht der Unternehmen verliert Deutschland als Wirtschaftsstandort an Wettbewerbsfähigkeit - etwa mit Blick auf die Verkehrsinfrastruktur, die Unternehmensbesteuerung und das Fachkräfteangebot", klagt Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. Die gesamte Steuerlast für Firmen ist von 44 Prozent der Gewinne auf 49 Prozent gestiegen, heißt es in einer Commerzbank-Studie. "Damit liegt Deutschland erheblich über dem EU-Durchschnitt von 40 Prozent."
Zinsen mit Risiko
Der Sachverständigenrat sieht auch Risiken durch die Europäische Zentralbank. "Infolge der Niedrigzinspolitik sind die Risiken im Finanzsystem weiter angestiegen", warnt das Expertengremium in seinem Jahresgutachten für die Bundesregierung. "Einerseits besteht die Gefahr überhöhter Vermögenspreise, vor allem im Bereich der Wohnimmobilien und Anleihen. Andererseits haben sich die Zinsänderungsrisiken bei Banken deutlich erhöht, da die Banken Kredite mit längeren Zinsbindungsfristen vergeben und sich gleichzeitig kurzfristiger refinanzieren." Im Fall rasch steigender Zinsen fürchten die Wirtschaftsweisen Verwerfungen im Finanzsystem. Wie stark dies die deutsche Wirtschaft treffen kann, hat die Finanzkrise 2008/09 gezeigt, die zur stärksten Rezession der Nachkriegszeit führte.