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Afrikanische Asylsuchende fordern in Israel "Freiheit statt Gefängnis".
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Tel Aviv. Viele afrikanische Asylsuchende in Israel schuften seit Jahren in den Küchen von Restaurants und putzen die Straßen der Stadt. Ohne Chance auf Asyl, ohne Gesundheitsversorgung und Arbeitserlaubnis, kämpfen so zehntausende Sudanesen und Eritreer in Israel seit Jahren ums tägliche Überleben. Jahrelang blieb ihr Groll unter der Oberfläche. Doch nun werden sie zum Symbol einer entrechteten Bevölkerung, der es reicht. Mehrere Tage traten sie in den Generalstreik und haben protestiert, anstatt sich dem System zu unterwerfen. Das Bild der passiven Hilfsarbeiter wurde durch den überraschenden zivilen Widerstand der "Unerwünschten" ersetzt.
"Freedom", hallte es letzten Sonntag über den Rabin-Platz im Herzen der Stadt Tel Aviv, als rund 15.000 afrikanische Asylsuchende überraschend einen riesigen Protest abhielten. Einer der Demonstranten am äußeren Rand der Menge streckte seine Hand rebellisch nach oben und erwiderte: "Freedom! Freedom!" Er will Freiheit, kein Gefängnis, sagte der junge Mann. Lange genug habe man stillgehalten. Doch nachdem die israelische Grenzpolizei jüngst wiederholt Leute im Süden Tel Avivs auf offener Straße abtransportierte, um sie in ein neues Internierungszentrum in der Wüste zu bringen, hatte er genug.
Der erste Protestfunken fiel bereits Ende Dezember, als 150 Asylsuchende aus der "offenen Einrichtung" Holot nach Jerusalem marschierten. Holot liegt in der Negev-Wüste im Süden Israels und ist tatsächlich alles andere als offen. Drei Mal am Tag müssen sich dort untergebrachte Asylsuchende melden. Nachts werden alle Tore geschlossen. Es ist ein "Gefängnis-light", in dem Personen bis zu einem Jahr am Stück festgehalten werden können. Derzeit hat es eine Kapazität von 3300, soll jedoch bald bis zu 9000 Menschen in sich einschließen können.
Die Einrichtung wurde nach einem Beschluss des israelischen Höchstgerichts eröffnet, der ein Gesetz für rechtswidrig erklärte, das die Internierung von Asylsuchenden für bis zu drei Jahre ohne Verfahren gefordert hatte. Als Konsequenz verordnete das Gericht die Umsiedlung von 1700 Asylsuchenden aus dem geschlossenen Gefängnis Sa’aronim, ebenfalls in der entlegenen Wüste im Süden Israels gelegen, in das neue Holot.
Israel als Ausnahme
Rund 57.000 afrikanische Asylsuchende und Flüchtlinge leben derzeit in Israel, davon 15.210 aus dem Sudan und 35.895 aus Eritrea, schreibt die israelische Organisation Assaf. Für alle Asylsuchende aus diesen beiden Ländern gilt in Israel der "vorübergehende kollektive Schutz" ohne vorhergehendes Verfahren. Als Unterzeichner der Flüchtlingskonvention kann der israelische Staat sie aufgrund der Situation in den beiden Heimatländern zwar nicht abschieben, doch gleichzeitig gibt es in Israel auch kein effektives Asylverfahren. Auch Gesundheitsversorgung und Arbeitsbewilligungen bleiben den Asylsuchenden verwehrt. Somit sind sie zu Zehntausenden im Land, können ihre Rechte jedoch nicht einfordern und schaffen es nur schwer zu überleben.
Dieser Widerspruch liegt auch an Israels Selbstverständnis als "Ausnahme": Es sei das einzige Industrieland mit einer Grenze zu Afrika und stehe deshalb besonders unter Druck, wie es kürzlich in einer Aussendung des Außenministeriums hieß. Und als "jüdischer Staat" sei Israels Situation deshalb von der Pflicht ausgenommen, weil nicht-jüdische Immigration die zukünftige jüdische Mehrheit im Staat gefährde. In einem kontroversen Statement erklärte Premier Benjamin Netanyahu im Mai, dass "Illegale Eindringlinge das Land überfluten". Harte Maßnahmen seien nötig, um den jüdischen und demokratischen Charakter des Staates zu beschützen. Neben Inhaftierung wird Asylsuchenden jüngst auch Geld geboten, damit sie in ihr Heimatland zurückreisen.