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Aufstand gegen Geheimverhandlungen

Von Veronika Gasser

Wirtschaft

Was immer in den "green rooms" besprochen wird, bleibt den meisten Mitgliedern der Welthandelsorganisation (WTO) verborgen. Denn in diese Räumlichkeiten finden nur auserwählte Verhandler der Industrienationen Zugang. Hier einigt man sich hinter verschlossenen Türen über weitere Liberalisierungsschritte und neue WTO-Themen. Die fertigen Konzepte dieser "konspirativen" Sitzungen müssen allerdings von allen, auch den ausgeschlossenen Entwicklungsländern, abgesegnet werden. Diese undurchsichtige Vorgangsweise provoziert jedoch auf Dauer Widerstand der Ausgeschlossenen.


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Schon bei der letzten Welthandelsrunde in Doha wurden die neuen Themen - Investitionen, Wettbewerb, Öffentliche Ausschreibungen und Auftragsvergabe sowie Handelserleichterungen - in den "green rooms" festgelegt. Wegen der hohen Tagungs- und Umbuchungskosten waren die meisten Vertreter der Entwicklungsländer bereits abgereist, nur Indien hielt bis zuletzt durch. Bei der heute im mexikanischen Nobelbadeort Cancun startenden 5. Ministerkonferenz stehen alte wie "neue" Themen auf der Tagesordnung. Ungleich ist der Ausgangspunkt bei den Verhandlungen: Nur 16 Entwicklungsländer richten Forderungen an die EU, doch diese hat weitreichende Forderungen an 94 Entwicklungsländer.

Investitionsschutz

Ein besonders heißer Verhandlungsstoff der diesjährigen WTO-Runde, wenn auch nicht der wichtigste, wird der Investitionsschutz sein. Seit den GATT-Verhandlungen wollen die USA die Regeln des Nordamerikanischen Freihandelsabkommens (Nafta), das zwischen Kanada, USA und Mexiko besteht, auch in die WTO integrieren. Dahinter steht das Ziel Investoren weitreichende Rechte und Schutz einzuräumen: Sie sollten ein Klagsrecht gegenüber Regierungen erhalten, wenn diese Gesetze erlassen, die für die Konzerne nachteilig sind und deren Gewinn schmälern. Bekannt wurde der Fall des US-Konzerns Ethyl, der auf Basis der Nafta-Bestimmungen die kanadische Regierung auf 200 Mill. Dollar Schadenersatz klagte, weil diese den Import einer giftigen Substanz per Gesetz untersagt hatte. Es kam zu einem Vergleich, und die Kanadier mussten 10 Mill. Dollar Entschädigung zahlen. Der US-Wirtschaftsrat begrüßte die Entscheidung, weil so "disziplinierende Wirkung auf Parlamente ausgeübt werden kann".

Auch die EU drängte auf ein solches Abkommen. 1998 scheiterte der erste Versuch ein Multilateral Agreement on Investments (MAI) zu etablieren, am Widerstand der Öffentlichkeit Kanadas und Europas. Doch bei dem Treffen in Cancun soll ein neuerlicher Anlauf für ein MAI genommen werden. Diesmal kämpft die EU dafür an vorderster Front, für die USA hat die Angelegenheit mittlerweile an Bedeutung verloren. Denn die Großmacht ist mit bilateralen Verträgen gut abgesichert. "Um das volle Investitionspotenzial ausschöpfen zu können, brauchen wir Investitionsschutz, eine stufenweise Marktöffnung und die Gleichbehandlung von ausländischen und inländischen Investoren," fordert Reinhold Mitterlehner, stv. Generalsekretär der Wirtschaftskammer Österreich (WKÖ). Er erinnert auch daran, dass die heimische Wirtschaft zu einem Großteil vom Export lebt. Mit diesem Wunschpaket entlarve sich die WKÖ, meint Christian Felber, Sprecher der WTO-kritischen Organisation Attac: "Die Wirtschaftskammer hat damit ihren eigentlichen Auftrag, nämlich die Vertretung der Klein- und Mittelbetriebe, längst über Bord geworfen. Sie spricht nur noch für Konzerne."

Attac plädiert stattdessen für "ein Standortschutzabkommen, das die ökonomische, sozial und ökologisch verträgliche Entwicklung im Gastland sichert und dadurch gerade kleinere Betriebe - auch jene Österreichs - begünstigen" würde. Dies sei wichtig, da der Rechnungshof nachgewiesen hätte, dass Klein- und Mittelbetriebe sechsmal mehr Steuern zahlten als Multis.

Keine Unterstützung findet ein MAI durch die Entwicklungs- und Schwellenländer. Sie wollen erst einmal die Auswirkungen vorheriger WTO-Verträge untersuchen, bevor sie sich in neue Abenteuer stürzen. Nicht zuletzt fürchten die ärmsten Länder bei weiteren Verhandlungen, wie so oft davor, wieder über den Tisch gezogen zu werden. Ihnen fehlen für die komplizierten Materien die Experten, sodass nicht von fairen Verhandlungen gesprochen werden kann. Viele Länder sind entrüstet über dieses Vorgehen der Industrieländer.

Erbitterter Agrarpoker

Viele Monate lieferten sich die USA und EU eine Schlacht um die Agrarförderungen. Doch einen Monat vor Cancun fanden die beiden größten Machtblöcke eine gemeinsame Position, die nun dem Rest der Welt vorgelegt wurde. Dass sich USA und EU einigen konnten, ist nicht erstaunlich, da beide mit hohen Subventionen die Herstellung ihrer Agrarprodukte fördern, um die Überschüsse zu Dumpingpreisen auf den Weltmarkt zu bringen. In Cancun geht deshalb ein erbitterter Agrarpoker zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden weiter.

Wieder einmal wollen sich die von "green room"-Sitzungen ausgeschlossenen Entwicklungsländer dem Konsenspapier nicht unterwerfen. Sie lehnen sich auf und protestieren gegen den heikelste Punkt die Exportsubventionen für Agrarprodukte. Während die EU auf dem Standpunkt steht, dass diese durch die Agrarreform gravierend gekürzt wurden, geht den Ländern Afrikas und Lateinamerikas die Kürzung nicht weit genug. Attac unterstützt deren Forderung. Felber: "Durch die Exportsubventionen wird dem Norden freier Marktzugang in den Süden gewährt. Doch diese Stützungen machen die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern kaputt, weil es dort keine ähnlichen Förderungen gibt."

Weiteren Konfliktstoff bietet das GATS. Die EU fordert im Rahmen dieses Abkommens, von 72 Ländern den Zugang zur Trinkwasserversorgung. Die größten Konzerne, die über das Know How der Trinkwasseraufbereitung verfügen, wie Suez oder Veolia, sitzen in Frankreich. Die Union selbst will ihre Trinkwasser aufgrund des Drucks der Bevölkerung ausländischen Konzernen nicht zugänglich machen.

Gegen-Gipfel in Cancon

Das südfranzösiche Dorf Cancon wird Tagungsort des "WTO-Gegen-Gipfels". Da Bauernführer Jose Bove keine Ausreiseerlaubnis bekam, beschloss man in Cancon ein Treffen der WTO-Gegner zu veranstalten. Bis zu 10.000 Teilnehmer werden erwartet.