Berlin - Der deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder hat gehofft, mit einem Sonderparteitag die parteiinternen Kritiker seiner "Agenda 2010" ausbremsen zu können. Der Erfolg ist ungewiss. Der linke SPD-Flügel macht weiter Stimmung gegen die geplanten Sozialkürzungen und hält an einer Mitgliederbefragung fest. Manche politische Beobachter und Kommentatoren warnen bereits vor einem Sturz des Kanzlers.
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Schröder will auf dem Sonderparteitag am 1. Juni seine Reformpläne ausführlich darlegen und anschließend von den Parteimitgliedern absegnen lassen. An den Leitlinien der "Agenda 2010" will SPD-Chef nicht rütteln lassen. Höchstens einige Details stünden noch zur Disposition, ließ er am Dienstag über sein Büro ausrichten. Doch das reicht den Kritikern nicht aus. Sie fordern eine Debatte über substantielle Nachbesserungen.
So kündigte die hessische SPD-Vorsitzende Andrea Ypsilani umfangreiche Änderungsvorschläge zur geplanten Aufweichung des Kündigungsschutzes und der Kürzung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes an. Andere Parteigänger sind weit radikaler. Der Sprecher der Linken Demokraten 21 wirft der SPD-Spitze vor, mit der "Agenda 2010" einen Sozialabbau "Kohlschen Ausmaßes" zu betreiben und legt es auf eine Kampfabstimmung am 1. Juni an. Den "Fehdehandschuh" hätten Schröder und Wirtschaftsminister Wolfgang Clement mit den Sparvorschlägen geworfen, legte die Sprecherin der Parteilinken, Andrea Nahles, in der "Berliner Zeitung" nach.
SPD-Fraktionschef Franz Müntefering gelang es am Dienstag nicht, die Wogen zu glätten. Das Krisengespräch mit den Initiatoren des Parteibegehrens verlief ergebnislos. "Wir halten an der Befragung der Basis zu den Reformplänen fest", lautete der Entschluss der 12 aufmüpfigen Bundestagsabgeordneten. Damit wird erstmals in der SPD-Geschichte eine solche Befragung durchgeführt. 70.000 der 700.000 SPD-Mitglieder müssen unterschreiben, damit eine Abstimmung erzwungen wird.
Der parlamentarische Geschäftsführer der Fraktion, Wilhelm Schmidt, warnte denn vor einem Sturz Schröders und zog eine Parallele zum Machtverlust von Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt anno 1982 (in der Frage der NATO-Nachrüstung). Große Teile der Partei wollen nicht wahrhaben, wie groß die wirtschaftlichen Probleme Deutschlands seien und würden nun "die SPD als Institution in Gefahr bringen", so W. Schmidt. SP-Generalsekretär Olaf Scholz versprüht allen Unkenrufen zum Trotz Zuversicht. Schröder werde auf dem Sonderparteitag eine breite Zustimmung bekommen, gab er sich gestern überzeugt.