In den Niederlanden nehmen die Proteste gegen die Aufnahme von Flüchtlingen zu. Profiteure sind die Rechtspopulisten, die die Umfragen anführen.
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Amsterdam. Oranje - wie könnte dieser Name nicht symbolisch sein? In diesen Tagen aber verweist er weder auf das niederländische Königshaus noch die Fußball-Nationalteam. Oranje, das steht seit dieser Woche für ein Gefühl, das in den Niederlanden stetig zunimmt: dass die Regierung zu viele Flüchtlinge aufnehme und diese über die Köpfe der Bevölkerung hinweg unterbringe.
In Oranje, einem Dorf von 140 Einwohnern in der nördlichen Provinz Drente sollten zu den 700 Menschen in einem regulären Asylbewerberheim zu Wochenbeginn noch einmal 700 in eine Notunterkunft kommen - entgegen allen Ankündigungen. Dienstag Abend versperrten einige Bewohner den Weg, und die Busse konnten zunächst nicht passieren. Später in der Nacht kamen die Flüchtlinge dennoch, mehr von ihnen wird es vorläufig aber nicht geben in Oranje.
Ein gebrochener Arm als Höhepunkt der Symbolik
Höhepunkt der Symbolik war eine Szene, in der eine Frau sich dem Auto von Klaas Dijkhoff, dem Justiz-Staatssekretär, in den Weg stellte. Ein Ordner zerrte sie unsanft weg, die Frau stürzte und brach sich den Arm. Ein Mann aus dem Dorf trat gegen den Wagen und schickte dem Staatssekretär ein Schimpfwort hinterher. Belagert, wie manche Medien schrieben, wurde Dijkhoff nicht. Wobei: Die niederländischen Maßstäbe sind anders als etwa in Deutschland. Militanter Protest oder gar Pogromstimmung mit brennenden Asylwerberheimen, das ist zwischen Maastricht und Groningen nicht an der Tagesordnung.
Fakt aber ist: In dem Land, in dem dieses Jahr bis Ende September gut 36.000 Flüchtlinge aufgenommen wurden, regt sich Widerstand. Zum einen ist es der rasante Anstieg, der vielen Bürgern zu weit geht. Hinzu kommt, dass sich Teile der alteingesessenen niederländischen Bevölkerung übergangen fühlen.
Jos Wienen, Leiter der Asyl- Kommission innerhalb der Vereinigung niederländischer Kommunen (VNG), sagte kürzlich im TV, bei der Unterbringung präferiere man Absprachen mit den Kommunen. Wegen der Vielzahl an Flüchtlingen könnten diese aber auch unter Druck gesetzt werden.
Wenn die Bewohner Oranjes nun in jedes Mikrofon sagen, dass sie nichts gegen Asylbewerber haben, muss das nicht per se falsch sein. Tatsächlich richteten sich die Proteste gegen die vermeintliche "Den Haager Arroganz" - ein Vorwurf, den man zumal im abgelegenen ländlichen Norden häufiger hört. Dazu kam die Absprache, nicht mehr als 700 Flüchtlinge im Dorf unterzubringen. Und jeder Migrant in diesem Land lernt, dass "afspraak is afspraak" eine beinahe heilige Regel ist.
Hitziger Diskurs um Integration und Identität
Freilich jedoch gibt es eine Grauzone, in der auch xenophobe Beweggründe vorkommen - was nicht verwunderlich ist, betrachtet man den hitzigen niederländischen Diskurs um Identität und Integration der letzten Jahre. Sie könnten eine Rolle bei den Bedrohungen spielen, die drei städtische Dezernenten zuletzt in Enschede nahe der deutschen Grenze erhielten.
Über die Art der Bedrohungen wurde nichts weiter bekannt, der Hintergrund indes ist deutlich: in der Stadt gibt es Unmut über den Bau eines Asylbewerberheims. Auch in Enschede existiert ein Zweig der Initiative AZC (asielzoekerscentrum)_Alert, einer selbst erklärten "Plattform", die besorgte Bürger beim Vorgehen gegen die Unterbringung von Flüchtlingen unterstützt und in 14 Kommunen aktiv ist. Der Sprecher der Abteilung Enschede distanziert sich jedoch von der Bedrohung.
Auch in anderen Gemeinden kommt es zu Protesten. In Oldebroek bei Zwolle nahm man vom Bau eines Auffangzentrums Abstand, nachdem bei einem Treffen mit Bürgern keine Einigkeit über die Zahl der Plätze erreicht werden konnte. Besonders hitzig wurde die Situation in Purmerend, einer Schlafstadt im Umland Amsterdams. Dort stürmten wütende Bewohner eine Versammlung des Gemeinderats, die ebenfalls ein neues Asylbewerberheim zum Inhalt hatte. Eine offene Versammlung diese Woche verlief ruhiger, doch fand ein Diskussions-Teilnehmer am nächsten Tag einen Aufkleber der rechtsextremen Partei Nederlandse Voolks Unie (NVU) auf seinem Fenster vor.
Wilders fordert die Schließung der Grenzen
In Purmerend wurde zu Wochenbeginn auch Geert Wilders vorstellig, die Galionsfigur der migrationsfeindlichen Partij voor de Vrijheid (PVV), um auf Flugblättern eine Schließung der Grenzen zu fordern. Die Partei hat zuletzt eine Online-Meldestelle errichtet, wo Bürger Klagen über vermeintlich von Flüchtlingen verursachte Probleme äußern können. Die PVV profiliert sich derzeit als "einzige Partei, die den Bürgern zuhört".
Mit Erfolg, wenn man den Umfragen glauben kann, die ihr mit 33, bzw. 34 der 150 Parlamentssitze eine für die Niederlande geradezu astronomische Quote bescheinigen. "Pro 1000 Flüchtlinge scheint für die PVV ein Sitz dazu zu kommen", so der Volkskrant-Kolumnist René Cuperus. Er folgerte, die Niederlande hätten "keine Willkommens-, sondern eine Verpiss-Dich-Kultur".
Es überrascht nicht, dass sich für den Sonntag auch erstmals die deutsche antiislamische Pegida angekündigt hat. Der geplante Marsch durch Utrecht wurde wegen einer gleichzeitigen Gegendemonstration abgesagt. Stattfinden wird eine Kundgebung, zu der auch Pegida-Gründer Lutz Bachmann erwartet wird.