Bei den jüngsten Wahlen zeigte die Steiermark ein sehr heterogenes Stimmverhalten. Warum ist das so? Eine Spurensuche.
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Graz/Wien. Es ist noch gar nicht so lange her, da galt die Steiermark insgesamt als schwarz -und bei näherem Hinsehen teilten sich ÖVP und SPÖ ihre Hochburgen. Dann plötzlich - im Jahr 2005 - dreht die Grüne Mark auf Rot, Franz Voves wurde Landeshauptmann. Heute ist die Steiermark wieder schwarz, obwohl die ÖVP bei der letzten Landtagswahl nur Zweite wurde.
De facto zeigt die Steiermark seit einigen Jahren aber ein sehr heterogenes Stimmverhalten: Bei der Nationalratswahl 2013 wurde die FPÖ knapp vor der SPÖ Erste, bei der Europawahl 2014 stand die ÖVP vor der FPÖ und bei der Landtagswahl im vergangenen Jahr blieb die SPÖ - trotz Verlusten - auf Platz eins. Die FPÖ kam den beiden Regierungsparteien damals aber gefährlich nahe.
Beim zweiten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl stimmten die Steirer mit einer klaren Mehrheit für die FPÖ. Das Ergebnis im zweitgrößten Bundesland hatte einen wesentlichen Anteil am Wahlerfolg Norbert Hofers, der schon im ersten - und durch fünf Kontrahenten wohl repräsentativeren - Durchgang rund 39 Prozent holte. Nur in der Hauptstadt Graz lag Alexander Van der Bellen stets klar vor dem blauen Kandidaten, eine Stadt übrigens mit einem schwarzen Bürgermeister und einer tiefroten Vergangenheit.
Was ist los mit der Steiermark? Vielleicht hilft, um das steirische Phänomen zu verstehen, ein Blick auf die industriellen und ländlichen Strukturen und Regionen des Landes.
Im Betrieb Rot, draußen Blau
Im Norden des Bundeslandes ist die schwere Industrie zu finden, auf Gemeindeebene ist sie nach wie vor eine rote Hochburg. Leoben ist die zweitgrößte Stadt der Steiermark und Zentrum der einst verstaatlichten Industrie. Die Voestalpine ist hier allgegenwärtig und noch immer ein wichtiger Arbeitgeber für den Bezirk. Mit dem Niedergang der Stahlindustrie in ganz Europa vor mehr als 30 Jahren war diese Region aber von Arbeitslosigkeit und Abwanderung betroffen.
8000 Menschen arbeiteten hier einst am Höhepunkt der Industrialisierung für den damaligen Staatsbetrieb, über 36.000 Menschen lebten im Bezirk Leoben. Viele pendelten auch in diese Gegend, um bei der Voestalpine zu arbeiten, geblieben sind nur mehr 2500 Jobs, die Einwohnerzahl ist im Bezirk auf 25.000 Menschen gesunken. Rund 59 Prozent wählten am vergangenen Sonntag in Leoben den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer. Schon bei den letzten Landtagswahlen gab es im Bezirk starke Zuwächse.
Die Voestler wählen im Betrieb die Sozialdemokratische Gewerkschaft (FSG), die dort über 90 Prozent hält und bei der letzten Wahl im März sogar zulegen konnte. Zugegeben, der Vergleich ist nicht ganz zulässig: Das eine ist eine Persönlichkeitswahl direkt im Betrieb mit einer praktisch alleinstehenden Liste, das andere eine Wahl gegen die eigenen Zukunftsängste. Aber das Potenzial der FSG ist eine wichtige Form der Mobilisierung und Glaubwürdigkeit für die SPÖ. Aber schon im ersten Durchgang der Hofburg-Wahl kam Hofer im roten Leoben auf 42 Prozent, SPÖ-Kandidat Rudolf Hundstorfer auf 17.
"Das zipft die Leute an"
Für Josef Gritz, Betriebsrat der voestalpine Stahl Donawitz, fehlt die Nähe der ehemaligen Großparteien zu den Menschen. "Sie sagen immer, in den Betrieben ist das Wahlverhalten anders. Wenn ich sie nach dem Unterschied frage, bekomme ich nie eine Antwort", sagt Gritz. Der große Unterschied sei, dass die Arbeitervertretung noch direkt bei den Leuten sei, und sich den Problemen annehme.
"Wenn ein Kollege ein Problem hat, wird ihm geholfen. Ist die Wahl für einen Politiker vorbei, hörst du nichts mehr von ihm, das zipft die Leute an." Die Arbeiter in Leoben hätten bei über 400.000 Menschen im Land ohne Job Angst vor Arbeitslosigkeit und vor den Auswirkungen der Flüchtlingskrise. Diese Angst verschärfe sich in den Industriegebieten der Steiermark, so Gritz.
Gebiete im Niedergang
"Einige Gebiete in der Obersteiermark befinden sich im Niedergang ", sagt Max Haller, der lange Soziologe an der Uni Graz war. "Dort leben viele alte Menschen, es gibt leere Häuser, es wird fast nichts mehr gebaut." Sicherheit, so Haller, sei ein entscheidender Aspekt. Verliert man in diesen Gegenden seinen Job, kann das neben dem Verlust der Lebensgrundlage auch den Umzug bedeuten, um wieder zu Arbeit zu kommen. "Hinzu kommt, dass die älteren Menschen vielleicht Angst vor Zuwanderung haben." Bieten die ehemaligen Großparteien dann keine Perspektiven, "laufen ihnen die Wähler, wie man jetzt beobachten kann, davon."
Manfred Wegscheider (SPÖ), Bürgermeister der Böhlerstadt Kapfenberg, spricht von den hohen Beschäftigungszahlen in seiner Stadt, der es wirtschaftlich wieder gut gehe. Dort erreichte Hofer im ersten Wahlgang 44,6 Prozent, Hundstorfer auf ein Fünftel. Bei der Stichwahl stimmten dann knappe 60 Prozent für Hofer. "Die Leute haben das Gefühl, dass der Österreicher mit der FPÖ besser gestellt bleibt als der Flüchtling", sagt Wegscheider. Die Schlechtergestellten hätten Angst um ihre Existenz. "Wenn ich nicht zu den Stärksten der Gesellschaft gehöre, habe ich Angst, dass mir jemand, der noch weniger hat, etwas wegnimmt", so der Kapfenberger Bürgermeister. Das betreffe aber die Steiermark genauso wie Wien.
Trübe Milchpreise
Der Süden der Steiermark wird vom Tourismus und den örtlichen Bauern geprägt. Auf Gemeindeebene wird hier noch mehrheitlich ÖVP gewählt. Bei der Bundespräsidentenwahl wurde auch dieses Gebiet in Blau getaucht. Die Unternehmer wurden von der Regierung mit Registrierkassen gegängelt, sagt Gritz. Die Bauern wiederum haben mit den niedrigen Milchpreisen zu kämpfen, sagt Haller. Außerdem war der Süden von der Flüchtlingsroute über den Balkan besonders betroffen. All dies würde der FPÖ Zulauf verschaffen.
Die Bundespräsidentenwahl verdeutlichte den Abgesang auf die Parteiloyalität bei österreichweiten Wahlen. Ein Wind, der sich dadurch in Zukunft, an den letzten Wahlergebnisse der Steiermark gut zu sehen, sehr schnell wieder drehen kann.