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Auftakt zum EU-Milliarden-Poker

Von Martyna Czarnowska aus Brüssel

Politik

Trotz Brexit-Unsicherheit muss sich die EU auch mit anderem beschäftigen: der Eurozone und dem Unionsbudget.


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Brüssel. Durcheinandergewirbelt hat der Brexit schon so manchen EU-Gipfel. Und als die Staats- und Regierungschefs der Union gestern, Donnerstag, in Brüssel zusammenkamen, warf der EU-Austritt Großbritanniens ebenfalls seine Schatten auf das Spitzentreffen, das am heutigen Freitag fortgesetzt wird. So hatte das Büro von Ratspräsident Donald Tusk Programmänderungen in nur kurzer Zeit zu berücksichtigen. Ein Sondertreffen der verbleibenden 27 Mitgliedstaaten, ein Vorziehen der außenpolitischen Debatte, eingeschobene bilaterale Gespräche - all das galt es zu koordinieren.

Dabei war die Gipfelagenda auch abgesehen vom Brexit thematisch gut gefüllt. Einiges davon wird auch schon weit länger diskutiert als der Austrittswunsch des Königreichs. Dazu gehören Reformen der Eurozone, die am heutigen Freitag beraten werden. Ihre Geschichte ist nicht zuletzt eine des Zögerns und Abwägens - und wie so oft in der EU geprägt von Kompromissen, die unterschiedliche Länderinteressen zu vereinbaren suchen. Und einer der vorsichtigsten Akteure ist Deutschland mit seiner Sorge, dass aus der Währungs- eine Transferunion werden könnte.

Ein Haushalt für den Euroraum

Dennoch hatte der französische Präsident Emmanuel Macron nach seiner Wahl im Vorjahr Hoffnungen eben auf Berlin gesetzt. Der deutsch-französische Motor sollte wieder anspringen, notwendige Änderungen sollten in Schwung kommen. Doch dann kamen Wahlen in Deutschland, Macron musste auf die Regierungsbildung in Berlin warten, und auch danach dauerte es lange, bis die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Ideen ihres französischen Amtskollegen eine Antwort formulierte. Diese fiel auch nicht besonders verbindlich aus. Denn die Vorstellungen zu einem eigenen Budget für die Eurozone, zur Schaffung eines europäischen Währungsfonds und der Etablierung des Postens eines Euro-Finanzministers sind in Berlin und Paris unterschiedlich.

Hinzu kommen aktuelle Entwicklungen, die die Position der Partner verändern. So ist Macron nach den Protesten der "Gelben Westen", denen er Zugeständnisse einräumen musste, innenpolitisch geschwächt. Dass er seine Pläne ebenso wenig im Kreis der Staats- und Regierungschefs vollständig umsetzen kann, war schon im Vorhinein klar. Ebenso wie der Widerwillen einer Gruppe nordeuropäischer Länder rund um die Niederlande gegen einen Eurohaushalt bekannt war.

So kommen die Mitglieder bei der angestrebten Reform der Gemeinschaftswährung nur mühsam voran. Zwar einigten sich die Finanzminister vor kurzem auf eine Stärkung des Rettungsschirms ESM, doch wurden Entscheidungen zu einem eigenen Haushalt für den Euroraum sowie einer gemeinsamen Einlagensicherung für Sparer erneut auf einen späteren Zeitpunkt verschoben.

Mehr Geld für Gemeinschaft?

Trotzdem drängte EU-Ratspräsident Tusk in seinem Einladungsschreiben an die Staats- und Regierungschefs darauf, dass die Arbeiten am Eurobudget fortgesetzt werden sollen. Einen Eurogipfel hatte er für Freitag angesetzt.

In einem Entwurf für das Schlussdokument findet sich aber schon eine abgespeckte Variante des Vorhabens. Demnach solle ein Eurozonen-Etat lediglich dazu dienen, dass sich die Mitgliedstaaten wirtschaftlich weiter annähern. Von einer stabilisierenden Funktion bei Krisen war anders als früher nicht die Rede.

Wie schwierig finanzielle Fragen zu lösen sind, zeigte sich ebenfalls am Tag zuvor. Da standen Beratungen über den mehrjährigen EU-Etatplan auf der Agenda. Und es war nur der Auftakt: Das Feilschen ums Geld wird sich noch über Monate hinziehen - auch wenn sich die EU-Kommission wünscht, die Verhandlungen bis zur Europawahl im kommenden Mai abzuschließen.

Tusk scheint da realistischer zu sein: Er setzt auf eine Vereinbarung im nächsten Herbst. Bis dahin werden noch viele Hürden zu nehmen sein. Denn die Wünsche der drei EU-Institutionen - Kommission, EU-Parlament und Länderversammlung - gehen am Anfang immer auseinander. Die zwei Behörden hätten nämlich mehr Geld für die Gemeinschaft als die Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen wollen. Das gilt vor allem für die sogenannten Nettozahler, jene Länder, die mehr Mittel ins EU-Budget fließen lassen als sie daraus bekommen.

Dennoch wollte sich die Kommission weder von diesen Zwistigkeiten noch vom Brexit beirren lassen, als sie im Mai ihren Entwurf für die Jahre 2021 bis 2027 präsentierte. Sie fordert trotz des Wegfalls des britischen Beitrags ein höheres Budget für die Union. Nicht wie bisher ein Prozent der europäischen Wirtschaftsleistung soll dafür aufgebracht werden, sondern 1,11 Prozent. Der Ausgabenrahmen in den sieben Jahren würde sich damit auf 1135 Milliarden Euro zu Preisen von heuer erhöhen. Unter Berücksichtigung der Inflation wären das 1279 Milliarden Euro.

Kürzungen und Bedingungen

Im Vergleich dazu sind in der bis 2020 laufenden Finanzperiode Zahlungsverpflichtungen in Höhe von 1090 Milliarden Euro eingeplant. Das sind die im Vorhinein getätigten Zusagen für bestimmte Bereiche und Projekte - die Rechnungen für deren Realisierung aber werden meist Monate oder Jahre später gestellt. Das tatsächlich überwiesene Geld sind dann die Zahlungen, und die liegen oft unter den Verpflichtungen. Ab 2021 wären das 1246 Milliarden Euro.

Die Linien, entlang derer die Gipfeldebatten darüber verliefen, sind bekannt: Während osteuropäische Länder keine Kürzungen bei den Infrastrukturförderungen hinnehmen wollen, halten einige nordeuropäische Regierungen an bestimmten Bedingungen fest, die bei der Mittelvergabe gelten sollten. Umstritten ist etwa die Verknüpfung mit politischen Kriterien, wie Rechtsstaatlichkeit.

Der Milliarden-Euro-Poker ist erst eröffnet. Österreich, das noch bis Jahresende den EU-Vorsitz innehat, hat zwar eine Verhandlungsbox, also eine Art Gesprächsleitfaden vorgelegt. Über Zahlen soll jedoch erst später gesprochen werden.