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Augen auf und durch

Von Alexander Dworzak

Politik

SPD-Spitze schwört Basis auf große Koalition ein.


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Leipzig. Modern, freundlich und hell ist die Leipziger Messe, kurzum: ein angenehmer Tagungsort für einen Neustart. Doch in der Halle ist die Geräuschkulisse gedämpft. Es gibt weder tosenden Applaus noch empörte Ablehnung. Beim Parteitag der deutschen Sozialdemokraten leiden die Genossen am Donnerstag still vor sich hin. Parteichef Sigmar Gabriel müht sich redlich, die 600 Delegierten in Stimmung und auf Kurs zu bringen. Er will die große Koalition mit der konservativen Union aus CDU und CSU.

"Die SPD kann in diesen Koalitionsverhandlungen viel für die Menschen in Deutschland erreichen", verspricht Gabriel. Zugleich bremst der seit 2009 amtierende Vorsitzende der Sozialdemokraten die Erwartungen: "Wer 100 Prozent des SPD-Wahlprogramms erwartet, erwartet zu viel." Einen Fehler wollen Spitze und Basis unter allen Umständen vermeiden: von der Union in der Regierung zerrieben zu werden. Denn die Wähler dankten den Sozialdemokraten nicht die konstruktive Zusammenarbeit bei der großen Koalition von 2005 bis 2009, honorierten nicht das vergleichsweise ruhige Navigieren von Schwarz-Rot durch den Sturm der Finanzkrise. Bei der Wahl 2009 heimste Angela Merkel die Lorbeeren ein - die SPD verlor ein Drittel der Stimmen und stürzte auf das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ab.

Der Gang in die Opposition ist für die Parteigranden dennoch keine Antwort auf das Wahltrauma 2009. Stattdessen sollen Fehler der Vergangenheit vermieden werden: "Wir werden kein zweites Mal eine Politik betreiben, bei der die SPD wieder gegen ihr Selbstverständnis verstößt", gibt Gabriel die Marschrichtung vor. Zu seinem Forderungskatalog zählen sozialdemokratische Kernthemen: neben dem flächendeckenden Mindestlohn von 8,50 Euro pro Stunde, der Koalitionsbedingung ist, ein Ende des Missbrauchs von Werkverträgen, gleicher Lohn für Männer und Frauen und mehr Mitbestimmungsrechte für die Gewerkschaften.

Zwiespalt der Agenda 2010

Gabriel distanziert sich nun von Reformen, die die SPD einst mitgetragen hat, allen voran die Mehrwertsteuererhöhung auf 19 Prozent und das auf 67 Jahre heraufgesetzte Pensionsalter. Damit sendet er ein Signal an die Traditionalisten. Sie werden gebraucht, schließlich kann die Basis Schwarz-Rot verhindern, wenn sie im Dezember über die dann vorliegenden Ergebnisse der Koalitionsverhandlungen abstimmt.

Der SPD-Chef vergisst in Leipzig aber nicht auf das Dilemma der Partei: Denn zwei Drittel der Deutschen sehen die noch von Gerhard Schröder initiierten Arbeitsmarkt- und Sozialreformen der Agenda 2010 als Basis für Deutschlands nunmehrigen Höhenflug. Zugleich sagen 62 Prozent der Bürger, die SPD habe mit der Agenda-Politik ihre Prinzipien verraten. Mit der Betonung der fehlenden sozialen Gerechtigkeit alleine ist aber kein Kanzlersessel zu erklimmen, das wurde bei der letzten Wahl deutlich. "Scheinbar bedarf es einer deutlich stärkeren Wirtschaftskompetenz", schreibt Gabriel den Genossen ins Stammbuch. Während die SPD-Spitze für die Wahl 2017 eine Koalition mit der Linkspartei nicht mehr ausschließt, sendet ihr Parteichef zarte Signale Richtung Mitte. Vielleicht erinnert er sich schlicht an den letzten SPD-Kanzler: Als Gerhard Schröder 1998 nach 16 Jahren Helmut Kohl vom Thron stieß, hatte er folgenden Slogan für seine unternehmerfreundliche Politik parat: "Die neue Mitte".