Früher war Myanmar geächtet, nun tourt Präsident Thein Sein durch Europa.
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Rangun. Das Herz der Opposition in Myanmar (Burma) schlägt in einem unscheinbaren Gebäude. An einer Durchfahrtsstraße liegt neben einem Möbelgeschäft in Rangun das einstöckige Hauptquartier der Partei "Nationale Liga für Demokratie" (NLD). Ein weiter Raum im Erdgeschoss ist nur düster beleuchtet - und voller Leben. Auf einer kleinen Plattform spricht ein Abgeordneter zu einem jungen Publikum, in der Ecke daneben debattiert eine Gruppe von fünf Leuten auf Plastikstühlen die Minderheitenpolitik im Land, und an einem Tisch beim Eingang verkaufen alte Frauen selbst gemachte Hausschuhe und spenden den Erlös der Partei.
Die Aufbruchsstimmung, die bei der NLD herrscht, spiegelt den Wandel wider, der sich in Myanmar vollzogen hat. Jahrzehntelang hatte eine brutale Militärjunta jeden Widerstand niedergeknüppelt, doch vor etwa zwei Jahren startete die Armee einen Demokratisierungsprozess. Die einstmals verbotene NLD, deren Generalsekretärin Aung San Suu Kyi etwa 15 Jahre lang unter Hausarrest gehalten wurde, ist heute eine Oppositionspartei im Parlament, wo auch die Friedensnobelpreisträgerin Suu Kyi einen Sitz hat.
Ex-General als Reformer
Die von oben dekretierten Reformen wurden vor allem von Präsident Thein Sein vorangetrieben. Aufgewachsen am Land in einer Holzhütte, schloss er sich der einzigen Institution an, die den Armen einen Aufstieg ermöglichte: dem Militär. Der heute 67-Jährige machte Karriere und wurde General. Kaum hatte er seine Uniform abgelegt und 2011 das Amt des zivilen Präsidenten übernommen, überraschte er die Welt damit, wie schnell er die Öffnung Myanmars durchzog. Politische Gefangene wurden freigelassen und die Pressezensur abgeschafft. Im Gegenzug haben die USA ihre Sanktionen gelockert, die EU hat ihre weitgehend ausgesetzt. Und galten früher Myanmars Staatschefs im Westen nur als Parias, wird nun Thein Sein erstmals in Europa empfangen, am 4. März trifft er sich auch mit Österreichs Präsidenten Heinz Fischer (siehe Kasten).
Ganz anders als Thein Sein hat die NLD-Politikerin Sandar Min die jüngere Geschichte des Landes erlebt. Die 43-Jährige berichtet mit ruhiger Stimme von ihrer Vergangenheit. Als junge Studentin ging sie Ende der 1980er Jahre in Opposition zur Militärdiktatur. Hunderttausende Demonstranten forderten damals die Militärjunta heraus, die ganze Empörung über die Armut und die Unterdrückung entlud sich. Viele Studenten wurden zu Organisatoren und Anführern der Proteste - unter ihnen Sandar Min. "Wir wussten, dass wir ins Gefängnis gehen müssen", sagt sie heute. So kam es auch: Tausende Menschen wurden vom Militär erschossen, tausende verhaftet. Nach ihrer Entlassung studierte Sandar Min weiter, arbeitete in einem Bäckereigeschäft - und wurde 2007 erneut zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. 65 Jahre Haft lautete damals der Richterspruch. Sie hatte sich einer von Mönchen angeführten Protestwelle angeschlossen, die als "Safranrevolution" durch die Welt ging.
Anfang 2012 wurde Sandar Min im Zuge einer Amnestie pardoniert. Nun ist sie Parlamentsabgeordnete für die NLD. "Ich werde nie vergessen, was passiert ist", sagt sie. "Aber ich verzeihe." Politische Aktivisten wie sie müssten nun den eigenen Zorn und die eigene Wut opfern, damit das Land nach Jahrzehnten der Gewalt und der Armut endlich fortschreiten könne. Sie verlangt nicht viel vom Militär: Nur ein öffentliches Bekenntnis, dass Unrecht geschehen ist.
Damit ist das Gespräch mit der früheren Gefangenen mitten in der Tagespolitik angelangt. Die NLD verlangt, dass mit allen Ethnien ein umfassender Versöhnungsprozess gestartet wird. Mehr als 130 Minderheiten leben in Myanmar, sie machen rund ein Drittel der Bevölkerung aus. Tatsächlich wird sich die Zukunft Myanmars nicht nur in der Beziehung zwischen der Armee und der hauptsächlich von Burmesen getragenen politischen Opposition rund um Nobelpreisträgerin Suu Kyi entscheiden. Mindestens ebenso wichtig wird das zukünftige Verhältnis zwischen Armee und Minderheiten sein.
Doch die Wunden sitzen tief. Das Militär antwortete über Jahrzehnte auf bewaffnete Aufstände verschiedener Ethnien mit einer Politik der verbrannten Erde, vernichtete ganze Dörfer. Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat Myanmar wiederholt die Unterdrückung von ethnischen Minderheiten vorgeworfen. Mittlerweile laufen aber mit elf großen Gruppierungen Friedensgespräche, teilweise gibt es schon Waffenstillstandsabkommen. Wie fragil die Lage aber ist, zeigt das Beispiel der Kachin: Nach 17 Jahren Ruhe war der Konflikt zwischen den Kachin-Rebellen und der Armee Mitte 2011 wieder ausgebrochen, die Armee flog gar Luftangriffe. Nun soll wieder verhandelt werden.
Hoffen auf Aufschwung
Doch es gibt vonseiten der Regierung auch ein wirtschaftliches Interesse an einem Ausgleich mit den Minderheiten: Myanmar möchte etwa sein Straßen- und Schienennetz ausbauen, sich enger mit Nachbarländern verbinden. Und nach China führt der Weg fast unweigerlich durch das Siedlungsgebiet der Shan, nach Indien durch das der Chin.
Durch derartige Projekte soll endlich das wirtschaftliche Potenzial genutzt werden: Das Land besitzt Öl, Gas, Jade oder seltene Hölzer. Doch die Isolationspolitik des Militärs machte Myanmar zu einem der ärmsten asiatischen Staaten.
Was das bedeutet, zeigt sich am Land, in abgelegenen Dörfern wie Nga Pyaw Kyun, das nur über eine holprige Sandstraße zu erreichen ist. Hier stehen Holzhütten ohne Strom, Kinder im Volksschulalter schleppen mit gebeugtem Rücken Wasserkübel. Die österreichische Hilfsorganisation "Sonne" lindert die ärgste Not, zahlt lebensnotwendige Operationen, die sich viele nicht leisten können, und baut in einem buddhistischen Kloster eine Schule für Arme mit auf. "Am härtesten ist das Leben für die Familien, die kein eigenes Feld besitzen", berichtet der Verwaltungsdirektor der Schule, Aung Min. Sie müssen sich als Tagelöhner durchschlagen, sammeln Brennholz oder helfen Bauern bei der Ernte. Täglich müssen sie darum kämpfen, überhaupt genug zu essen zu haben.
Auch hier am Land begrüßen die Menschen die neue Freiheit, die die Reformen gebracht haben, der Dorfschneider zeigt euphorisch T-Shirts mit dem Konterfei von Suu Kyi, die er verkauft. Doch wirtschaftlich, sagen die Leute, habe sich noch nichts an ihrer Lage geändert.
Die andere Seite von Myanmar zeigt sich im Pun Hlaing Golf Estate am Rande von Rangun. In der ruhigen Parkanlage mit Golfplatz werden geräumige Villen verkauft. Hochgezogen wurde das Projekt unter anderem von dem Investor Serge Pun und seiner Serge Pun & Associates Group. Der schwerreiche Geschäftsmann hatte sich mit der Militärdiktatur arrangiert, blieb aber so sauber, dass er, im Gegensatz zu anderen Tycoons, nie auf einer Sanktionsliste des Westens landete. Manager wie Serge Pun könnten zu den großen Profiteuren der Öffnung werden. Denn investierten früher fast nur Nachbarländer, etwa Thailand oder China, in Myanmar, geben sich nun Wirtschaftsdelegationen aus dem Westen die Türklinke in die Hand. Sie suchen Geschäftspartner, die mit dem Markt im Land vertraut sind.
Aber wird der Reformprozess halten? Diplomaten und Beobachter sprechen davon, dass durch jedes neue Geschäft mit dem Westen Fakten geschaffen werden und dass auch viele höhere Militärs froh darüber sind, dass ihr Land nicht mehr so isoliert ist. Gleichzeitig weisen sie darauf hin, dass 2015 ein entscheidendes Jahr sein wird. Dann sollen die ersten tatsächlich freien Wahlen stattfinden.
Populäre Opposition
Noch regiert die von der Armee aus dem Boden gestampfte "Union für Solidarität und Entwicklung" (USE), doch der NLD wird ein Erdrutschsieg vorausgesagt - tatsächlich findet man überall, auf Balkonen, in Garküchen oder auf Fenstern von Taxis, das Bild der hochverehrten Suu Kyi. Dem Militär stehen zwar laut Verfassung ein Viertel der Parlamentssitze und einige Schlüsselressorts zu - aber wird es einen derartigen Machtzuwachs für die NLD akzeptieren?
Thein Sein hält sich offen, ob er auch nach 2015 Präsident des Landes sein will. Dafür muss er aber zunächst ins Parlament einziehen und in seinem Wahlkreis in der Hauptstadt Naypyidaw die Mehrheit holen. Die NLD-Gegenkandidatin für diese Region steht übrigens schon fest: Es ist die ehemalige politische Gefangene Sandar Min.
Myanmars Präsident in Wien
Bei seiner ersten Europa-Reise wird Myanmars Präsident Thein Sein am Montag auch Österreich besuchen und mit Bundespräsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann zusammentreffen. Neben politischen Gesprächen geht es auch um die Intensivierung wirtschaftlicher Kontakte: So wird Thein Sein auch an einem Wirtschaftsforum Österreich-Myanmar in der österreichischen Wirtschaftskammer (WKÖ) teilnehmen. Angeführt von WKÖ-Präsident Christoph Leitl hat eine hochrangige österreichische Wirtschaftsdelegation mit Vertretern von mehreren Dutzend einheimischen Firmen, die von Andritz Hydro bis zu Lenzing reichten, bereits vor einem Monat Myanmar besucht. Leitl hat dabei Vorschläge und Angebote der österreichischen Firmen unterbreitet. Nun sollen diese bei Thein Seins Besuch konkretisiert werden.
Thein Sein, dessen Europa-Tour bereits begonnen hat, besucht neben Österreich auch Norwegen, Finnland, Italien und Belgien. Dass der Präsident in Europa empfangen wird, bedeutet für das einst geächtete Land eine große Aufwertung.