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Aus dem Schussfeld

Von Veronika Eschbacher

Politik

Pakistan will entschiedener gegen religiösen Extremismus vorgehen.


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Islamabad. Manche Geschichten sind dermaßen unfassbar, dass man jedes Mal, wenn man davon hört, erneut den Kopf schütteln muss. So auch die Geschichte der 14-jährigen Malala Yousufzai. Letzte Woche schossen Fanatiker dem pakistanischen Mädchen auf dem Weg von der Schule nach Hause in den Kopf. Der Grund dafür: Sie hatte sich für das Recht auf Bildung für Mädchen eingesetzt. Die extrem feige Tat jedoch scheint auf ihre radikalen Urheber zurückzufeuern: Pakistan steht geeint wie selten zuvor hinter Yousufzai und diskutiert den Umgang mit Terrorismus offen wie nie zuvor.

Dienstag vor genau einer Woche war Malala in der Stadt Mingora im landschaftlich malerischen Swat-Tal Pakistans mit dem Schulbus auf dem Weg nach Hause. Als der Bus von Männern gestoppt wurde, fragten diese nach ihr. Als sie sich meldete, eröffneten die Männer das Feuer. Eine Kugel traf die 14-Jährige am Kopf und blieb in der Nähe ihres Rückenmarks stecken. Seither kämpft sie um ihr Leben.

So paradiesisch das Swat-Tal, auch "Klein-Schweiz" genannt, mit seinen Bergen, klaren Flüssen und grünen Hügeln auch scheinen mag: Von einer Oase wird hier niemand sprechen. Die pakistanischen Taliban hatten 2008 die Kontrolle über die Region gewonnen und schufen ihren eigenen Gottesstaat. Sie führten die Scharia ein, die islamische Rechtsordnung, verboten Musik und den Schulbesuch für Mädchen. Damals legte Malala den Grundstein für ihre spätere Prominenz, als sie als Elfjährige unter Pseudonym für die britische BBC bloggte und gegen das Schulverbot anschrieb.

Die Armee ging im Frühjahr 2009 schließlich mit einer Großoffensive gegen die Taliban vor. Sie schaffte es, die Extremisten aus dem Swat-Tal zu vertreiben. Viele von ihnen flüchteten in die Stammesgebiete an der Grenze zu Afghanistan. Der Angriff auf Malala zeigt aber, dass sie auch im Swat-Tal weiterhin operieren können. Freitag bekannten sich die pakistanischen Taliban, genauer gesagt die Swat-Filiale der Tehrek-e-Taliban Pakistan (TTP), zu dem Anschlag.

Malala als Katalysator

Menschenverachtende Gräueltaten und Attentate findet man in Pakistan zuhauf. So wurden 2011 der Gouverneur Salman Taseer und der Minderheitenminister Shahbaz Bhatti ermordet für kritische Äußerungen zum Blasphemiegesetz beziehungsweise für den Einsatz für mehr religiöse Toleranz. Mahnwachen wurden auch für ermordete Journalisten, entführte Entwicklungshelfer, von Extremisten geköpfte Soldaten und Opfer von Selbstmordanschlägen gehalten, aber auch für Drohnenopfer. Die pakistanische zivile Führung und das Militär hielten sich jedoch - abgesehen in Fällen der US-Drohnenangriffe - mit öffentlichen Verurteilungen oft zurück.

Der Aufschrei nach dem Attentat auf Malala ist ein noch nie da gewesener. Ob Ministerpräsident Raja Pervez Ashraf oder Armeechef General Ashfaq Parvez Kayani - scharenweise rückten am Wochenende politische Entscheidungsträger an, um Malala, die Montag zur weiteren Behandlung nach Großbritannien verlegt wurde, im Militärkrankenhaus zu besuchen. Der ungewöhnlich einhellige Tenor: Das Gedankengut der Terroristen wird abgelehnt.

"Pakistan muss sich entscheiden"

Altaf Hussain, Chef der drittgrößten pakistanischen Partei Muttahida Qaumi Movement (MQM), sagte am Sonntag bei einer Pro-Malala-Demonstration in Karachi, dass für Pakistan nun die Zeit gekommen wäre, sich festzulegen. "Unser Land muss sich entscheiden: Sind wir mit den Taliban oder sind wir gegen sie. Es gibt keine dritte Option", so Hussain. Er rief die Armee dazu auf, "voranzuschreiten und die Taliban zu vernichten". Wenn sie diesen Rat befolgen, würden 190 Millionen Menschen hinter ihnen stehen.

Bei pakistanischen Aufrufen zum Kampf gegen Extremismus sind Beobachter jedoch meist vorsichtig. Ob sich die Kampfansage diesmal wirklich an die Adresse aller extremistischer Gruppen im Land richtet, bleibt offen. "Es sieht zumindest so aus, als ob der Aufschrei, der alle Gesellschaftsschichten durchzieht, laut genug gewesen wäre, um ein Umdenken in Gang zu setzen", so ein in Islamabad stationierter westlicher Diplomat zur "Wiener Zeitung". Die pakistanische Nationalversammlung und der Senat verabschiedeten einstimmig Resolutionen, die den Anschlag verurteilen. Einzig: Die Taliban wurden darin nicht namentlich genannt. Kommentatoren begründen dies damit, dass viele im Parlament deren Verteidiger wären oder einfach zu große Angst um ihr eigenes Leben hätten. Zivilgesellschaft und Medien fordern offen ein hartes Durchgreifen und scheuen nicht einmal mehr davor zurück, den Islam und die Religion selbst als Wurzel des Übels anzugreifen.

In Islamabad wird nun darüber beraten, wie gehandelt werden soll. Erste Option ist ein militärisches Vorgehen, in das man auch die USA einbinden will. Diese könnten gegen die Kämpfer der Tehrek-e-Taliban in ihren Verstecken in Afghanistan vorgehen. Der ehemalige Cricket-Star und Führer der Partei PTI, Imran Khan, wiederum spricht sich - nicht ohne damit Verwunderung bei seinen Landsleuten zu ernten - für Gespräche mit den Taliban aus. Militärschläge würden Terrorismus nicht beenden, so Khan in einem Interview mit CNN.

Die verantwortlichen Taliban sind trotz der Verurteilungen, die über sie hereinbrechen, nicht zurückgerudert. Im Gegenteil: Sie verlautbarten, dass alle Journalisten, die schlecht über den Fall Yousufzai berichten, bekämpft werden.