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Aus den Augen, aus dem Sinn

Von Stefan Brocza

Gastkommentare
Stefan Brocza ist Experte für Europarecht undinternationale Beziehungen. Eine detaillierteFassung des Textes ist als Policy Brief bei der Österreichischen Gesellschaft für Europapolitik erschienen: www.oegfe.at/policybriefs Alle Beiträge dieserRubrik unter:www.wienerzeitung.at/gastkommentare
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Die Auslagerung des EU-Grenzregimes: Die externe EU-Migrationspolitik setzt immer mehr auf Externalisierung und Exterritorialisierung. Zu befürchten ist, dass dabei unter dem Schlagwort "Fluchtursachenminderung" lediglich Symptome bekämpft werden.


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Die von der EU etablierte Strategie der Externalisierung, also der Versuch, die nach Europa strebenden Flüchtlingsströme und Migrationsbewegungen schon außerhalb der EU-Mitgliedstaaten in im Vorfeld ausgewählten Partnerstaaten - sei es nun aktuell die Türkei oder demnächst wohl auch wieder verstärkt Libyen - aufzufangen und so eine kontrollierte Zuwanderung beziehungsweise Übernahme von Flüchtlingen zu schaffen, funktioniert allenfalls bedingt. Mit dieser Auslagerungspolitik kann man bestenfalls Zeit erkaufen. In diesem Kontext bedeutet daher auch die Bereitstellung von weiteren Millionen Euro für Projekte in wichtigen Ausgangs- und Transitländern nichts anderes als einen weiteren Versuch teils zweifelhafter Externalisierung.

Was damit aber ganz sicher verfestigt wird, ist die Versicherheitlichung der EU-Außenpolitik und im Speziellen die Unterwerfung der Entwicklungspolitik unter das Primat der Sicherheitspolitik.

Einen weiteren Schritt in diese Richtung machten die EU-Staats- und Regierungschefs beim Europäischen Rat am 28. Juni. Neben allgemeinen Formulierungen wie "Maßnahmen gegen von Libyen aus operierende Schleuser" oder "Unterstützung für die Sahelzone und die libysche Küstenwache" finden sich auch sehr konkrete Externalisierungsschritte: etwa ein Konzept "regionaler Ausschiffungsplattformen" für auf See gerettete Menschen. Dies solle eine rasche und sichere Unterscheidung zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylsuchenden ermöglichen. Die Staats- und Regierungschefs sind auch übereingekommen, 500 Millionen Euro aus dem 11. Europäischen Entwicklungsfonds auf den EU-Treuhandfonds für Afrika umzuetikettieren. Schließlich sprachen sie sich auch dafür aus, eine neue und spezielle Fazilität für das Management der externen Migration in den langfristigen EU-Haushaltsrahmen aufzunehmen.

Die politische Fokussierung auf eine Reduktion der (legalen wie illegalen) Zuwanderungszahlen führt dazu, dass Gelder der klassischen Entwicklungszusammenarbeit (EZA) immer häufiger in den Dienst der "Fluchtursachenminderung" gestellt werden. Die Möglichkeiten der Entwicklungspolitik, Wanderungsbewegungen beeinflussen zu können, werden mit einer politischen Erwartungshaltung konfrontiert, die so niemals eingelöst werden kann. Für die Praxis bedeutet dies zudem, dass langfristige strukturbildende Maßnahmen Platz machen müssen für kurzfristige Maßnahmen zur Migrationsverminderung und -vermeidung. Das Konzept einer sinnvollen Entwicklungspolitik wird damit geschwächt. Gleichzeitig reduziert die Fixierung auf Migrationsvermeidung die Hemmschwelle für die Zusammenarbeit auch mit autoritären Regimen.

Zusammengenommen ist zu befürchten, dass unter dem Schlagwort "Fluchtursachenminderung" lediglich Symptome bekämpft werden und keine Zeit und keine Mittel mehr zur Verfügung stehen, um langfristige Strukturänderungen herbeizuführen.