Im Frühjahr 2023 soll Kühlwasser aus dem Atomkraftwerk Fukushima ins Meer verklappt werden. Die Folgen sind unklar.
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Noch elf Jahre nach dem Super-GAU muss die Atomruine Fukushima Daiichi mit Wasser gekühlt werden. Doch der Platz zur Ablagerung der verstrahlten Suppe wird knapp. Ab dem Frühjahr soll deshalb gefiltertes und hoch verdünntes Kühlwasser in den Pazifik abgelassen werden, wie die japanische Regierung nun entschieden hat. Die Aufregung darüber ist groß. Was das nicht nur für den Ozean bedeutet und welche Wege die Radionuklide gehen, skizziert Gerhard Herndl, Gewässerökologe von der Universität Wien, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung".
Am 11. März 2011 war es in Folge eines Seebebens und eines darauffolgenden Tsunamis zur Zerstörung der Reaktoren des Kernkraftwerks gekommen. Seither fallen jeden Tag rund 140 Tonnen an verstrahltem Wasser an. Dieses wird gefiltert in hunderten Tanks gelagert. Doch laut dem Betreiberkonzern Tepco geht der Platz für die Behälter im Herbst dieses Jahres aus. Deshalb hat die japanische Regierung beschlossen, dass mehr als 1,25 Millionen Kubikmeter des Wassers in den Pazifik geleitet werden. Das verstrahlte Wasser soll über einen rund ein Kilometer langen Tunnel in den Ozean "verklappt" werden.
Unter Verklappung versteht man die Entsorgung von Abfällen in Gewässern. Zurückzuführen ist der Begriff auf das Öffnen einer Klappe. In der Regel handelt es sich um flüssige Abfälle oder um Schwerölrückstände, die bei einer Schiffs- oder Tankreinigung auf dem Ozean entsorgt werden.
Im Falle von Fukushima sind es Bestandteile wie Tritium, aber vermutlich auch Cäsium und Strontium, die ins Meer gelangen könnten, wie Gerhard Herndl erklärt. Denn was sich tatsächlich im Kühlwasser an Radionukliden tummelt, kann erst untersucht werden, wenn die Flüssigkeit die Tanks verlässt. Auf jeden Fall werden diese nicht an Ort und Stelle verweilen, sondern mit der Verklappung auf eine sehr lange Route geleitet.
Der Kuroshio-Strom
Denn der Kuroshio-Strom - eine Oberflächen-Meeresströmung im westlichen Pazifik - wird die Radionuklide aufnehmen und kann sie schließlich bis an die kalifornische Küste transportieren, wobei der größte Teil wohl etwa in der Mitte des Pazifiks landen werde, skizziert der Wissenschafter. Im Detail läuft dies folgendermaßen ab: "Die in den Ozean geleiteten Radionuklide heften sich an Partikel wie Plankton, werden mit der Strömung verdriftet und sinken auf ihrem Weg durch das Meer langsam zu Boden." Dort werden sie etwa von filtrierenden Organismen wie Schwämmen aufgenommen und teilweise in den Boden eingelagert. Verschiedene kleinste Meeresbewohner wie etwa Würmer laben sich am Meeresboden. Das ist der Beginn des Weges ins Nahrungsnetz.
Tritium, Cäsium, Strontium
Würmer werden von Fischen vertilgt, kleine Fische von großen Fischen und immer so weiter. Dabei kommt es zu einer weiterführenden Bioakkumulation von Schadstoffen - also einer Anreicherung der Stoffe in verschiedensten Organismen.
Tritium stelle dabei eine im Vergleich zu anderen Radionukliden geringere Gefahr dar, da es mit einer Halbwertszeit von ungefähr 27 Jahren "eine sehr schwache Strahlung" ist. Der Stoff werde vielfach auch in der Medizin und in der Forschung verwendet, erklärt Herndl. Japan argumentiert, dass Tritium in geringer Menge für den Menschen unschädlich sei. Daher fällt es im Vergleich zu Cäsium und Strontium grundsätzlich eher weniger ins Gewicht.
Da allerdings beim Unfall in Fukushima auch massiv Cäsium freigesetzt wurde, sei davon auszugehen, dass auch dieser Stoff im Kühlwasser enthalten ist. Er hat in bestimmten Formen eine Halbwertszeit von mehreren Tausend Jahren. Die Halbwertszeit gibt übrigens an, nach welcher Zeitspanne sich die Anzahl der radioaktiven Ausgangskerne halbiert hat.
Bei der Ablassung des Kühlwassers sollte auf jeden Fall ein Monitoring durch internationale Experten wie der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEA) erfolgen, betont der Forscher. Einen solchen Schritt hat das japanische Außenministerium zuletzt auch schon angekündigt. So soll ein IAEA-Team Mitte Februar nach Japan kommen und die Sicherheit des gefilterten Kühlwassers überprüfen, um es schließlich, wie es heißt, bis unter die Richtwerte hochverdünnt loszuwerden.