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Aus der Mitte entspringt ein großes Nichts

Von Walter Hämmerle

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Die Mitte rücke nach rechts, hört man immer wieder - meistens besorgt und mitunter beglückt. Eine ziemlich sinnlose Debatte.


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Die Mitte umschwingt eine ganz besondere Aura. Man sucht sie nicht nur geografisch, sondern auch im eigenen Bewusstsein und durchaus - metaphorisch überhöht - für ganze Gesellschaften. Hier hofft man, den Widrigkeiten der Extreme auszukommen.

Dabei fällt es wesentlich leichter, über die Vorzüge der Mitte abstrakt zu philosophieren, als diese konkret zu verorten. Geografisch geht das noch relativ einfach, obwohl man auch hier verschiedene Maßstäbe als Kriterium heranziehen kann; Österreichs Mittelpunkt etwa liegt auf dem Gebiet der steirischen Gemeinde Bad Aussee.

Politisch erweist sich die Suche nach der Mitte schon als erheblich mühevoller. Erstens handelt es sich dabei um keine Fixpunkt, vielmehr wandert die Mitte mit den politischen Überzeugungen und Standpunkten einer Gemeinschaft mit. Zweitens erweist sich schon die Idee als trügerische Annahme: Die "eine" Mitte quer über alle Themenfelder gibt es nicht. Und, drittens, schließlich stellt sich ganz grundsätzlich die Frage nach dem Nutzen einer mittleren Position in der politischen Auseinandersetzung.

Definiert sich das Zentrum von den äußersten Grenzen her, sind die Vertreter eines Mittelwerts für sich genommen frei von jeder eigenen inhaltlichen Überzeugung, weil fremdbestimmt durch die Positionen der Extreme. Die politische Mitte wäre dann nichts anderes als eine sinnlose Ortsangabe, deren Inhalte einzig und allein von ihrer Entfernung zu den Extremen definiert werden. Was direkt zum nächsten Problem führt: Wie lassen sich in der Politik inhaltliche Entfernungen sinnvoll bestimmen?

Langer Rede kurzer Sinn: Die Fetischisierung einer ominösen flüchtigen Mitte ist, wenn man die Sache genauer durchdenkt, nicht nur zweck-, sondern auch sinnlos. Warum manche Parteien trotzdem nicht davon abzuhalten sind, sich mit diesem Stempel zu schmücken, muss an dieser Stelle ein Rätsel bleiben.

So gesehen führt sich auch die zuletzt häufiger werdende Klage über einen drohenden (mitunter auch bereits eingetretenen) Verlust der politischen Mitte ad absurdum. Ein rechnerischer Mittelwert kann nicht verlorengehen. Gerechtfertigt wäre allenfalls ein Lamento über den Bedeutungsverlust der vorgeblichen Mitte-Parteien.

Und der hat realiter in erster Linie damit zu tun, dass sich die politische Mitte in den Jahren seit dem Aufstieg der Ränder damit zufriedengab, ihre eigene Positionen im Bezug auf die neuen Kräfte zu relativieren und zu adaptieren, statt sich um eine grundlegende inhaltliche Neuaufstellung zu kümmern. Und zwar auf den Fundamenten der eigenen politischen Grundüberzeugungen. Das hätte dann auch tatsächlich den Namen "Politik" verdient. Haben die ehemaligen Großparteien aber nicht, weshalb durchaus der Eindruck entstehen könnte, die Mitte hätte sich in Richtung der Ränder verschoben.

Das ist für all jene ein Problem, die aus unerfindlichen Gründen davon überzeugt sind, dass es nicht genügt, wenn politische Parteien einfach nur gemütlich in der Mitte des Stroms mitschwimmen.