Zum Hauptinhalt springen

Aus dieser Hölle rausgekrochen

Von Martyna Czarnowska

Politik

Roman Polanskis "Der Pianist" machte eine breite Öffentlichkeit mit der Überlebensgeschichte des polnischen Komponisten Wladyslaw Szpilman bekannt. Dem Werk seines Vaters wieder zu Popularität zu verhelfen, ist das Anliegen von Andrzej Szpilman. Im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" lässt er die Entstehung von Buch und Film Revue passieren.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

In einem sollte Wladyslaw Szpilman nicht Recht behalten. "Mach was du willst, das interessiert sowieso keinen", sagte er zu seinem Sohn Andrzej Szpilman, als dieser ihm von seinen Plänen erzählte, die Überlebensgeschichte des Vaters in Buchform herauszugeben. Im Jahr 1998 wurden Szpilmans Erinnerungen an die Zeit im Warschauer Ghetto in Deutschland veröffentlicht, ein Jahr später folgten die britische und US-amerikanische Ausgabe. Schnell fand sich das Buch auf den Bestsellerlisten. Und dann kam Polanski.

Bei den Filmfestspielen von Cannes wurde Roman Polanskis Adaption von "Der Pianist" heuer mit der Goldenen Palme ausgezeichnet. Vielerorts wurde die Arbeit als "persönlichster Film" des polnischen Regisseurs bezeichnet. Polanski hat selbst das Krakauer Ghetto überlebt, seine Mutter wurde in Auschwitz ermordet.

"Der einzig Legitimierte"

Nicht zuletzt deswegen ist er für Andrzej Szpilman zur Verfilmung der Aufzeichnungen seines Vaters berechtigt. "Polanski ist aus meiner Sicht der einzig legitimierte Regisseur weltweit, der diesen Film objektiv und gleichzeitig als bedeutend machen kann. Er ist selbst ein Mensch, der aus dieser Hölle rausgekrochen ist. Er lebte über zwanzig Jahre in Polen und ist dann in den Westen gegangen. Daher kennt er die Realien und Zusammenhänge auf beiden Seiten", erklärt Szpilman.

Szpilman selbst wohnt seit fast zwanzig Jahren in Deutschland. Seine Zahnarzt-Praxis hat er vorerst aufgelöst. Nun ist er hauptsächlich Produzent. Einen Großteil seiner Arbeit verwendet er darauf, das Schaffen seines Vaters, der fünfzig Jahre weltweit als Pianist tätig war, wieder einer großen Öffentlichkeit zugänglich zu machen: "Ich will etwas tun, damit das Werk meines Vaters, vor allem in der klassischen Musik, wieder seinen Stellenwert bekommt." Gern zählt Andrzej Szpilman seine Erfolge in diesem Bereich auf: Seit einem halben Jahr werden die Kompositionen W. Szpilmans verlegt, mit einem US-amerikanischen Verlag werden gerade Songs produziert.

In Polen kannte bis in die 70er-Jahre hinein so gut wie jedes Kind Wladyslaw Szpilman, vor allem wegen seiner Lieder. Einer breiteren Öffentlichkeit wurden die Jahre seines Überlebens im von den Deutschen besetzten Polen während des Zweiten Weltkriegs bekannt. Wladyslaw Szpilman, vor dem Transport ins Konzentrationslager nur knapp der Ermordung entronnen, schaffte es, zunächst im Warschauer Ghetto und dann mit Hilfe von Freunden, Bekannten und ihm davor unbekannten HelferInnen im "arischen" Teil der Stadt durchzukommen. Auch ein deutscher Wehrmachtsoffizier fand sich unter denjenigen, die mit Unterschlupf, Essen und Nicht-Verrat an die SS ein Menschenleben retteten. Von Verkriechen, Einsamkeit, Hunger und einem unbändigen Überlebenswillen war diese Zeit geprägt.

Für Andrzej Szpilman sind die Erinnerungen daran eine "symbolische Darstellung der Situation während des Krieges". Nach fünfzig Jahren sei es noch immer notwendig, Proportionen richtigzustellen. "Es gab natürlich mehr Menschen als Wilm Hosenfeld (der deutsche Offizier, Anm.), die gerettet haben, und gleichzeitig war die Brutalität der Deutschen viel stärker als im Buch dargestellt. Es gab mehr Kollaborateure als eine Nachbarin. Es gab viel mehr Opfer auf der polnischen Seite. Und es gab mehr Opfer unter den Juden als die Familie meines Vaters. Es gab eine jüdische Polizei im Ghetto, die 3.000 Menschen gezählt hat. Aber all dies ist im Buch angesprochen. Fast zufällig sorgt es für eine verhältnismäßig ausgewogene Darstellung der Problematik der Verhaltensmuster von Menschen im Zweiten Weltkrieg."

Noch unter dem Eindruck der Erlebnisse verfasste Wladyslaw Szpilman seine Aufzeichnungen. Sie wurden bereits 1946 in Polen veröffentlicht - von der Zensur stark verstümmelt. Ein "guter Deutscher", die Darstellung der Bestialität der ukrainischen und litauischen Söldner waren der sozialistischen Propaganda, die Vielvölkerproblematik zu einem Tabuthema machte, ein Dorn im Auge.

Erst 1998 konnte das Buch in einer vollständigen, überarbeiteten Fassung, angereichert mit Auszügen aus dem Tagebuch von Wilm Hosenfeld, in Deutschland erscheinen. Wolf Biermann, der später das Nachwort verfassen sollte, hatte zu Szpilman gesagt: "Lass das Buch übersetzen." Der zwölfjährige Andrzej hatte es viele Jahre zuvor in der Hausbibliothek entdeckt - und auf diesem Weg erfahren, warum er väterlicherseits keine Großeltern, keine Verwandten hat.

Erst Ende der 90er-Jahre, während der Dreharbeiten zu einem Dokumentarfilm, konnte Wladyslaw Szpilman seinem Sohn Fragen beantworten. Dann kamen die Buchvorstellungen und Lesereisen. Und während eines Interviews entwickelte sich ein intensives Gespräch zwischen Vater und Sohn. "Wir haben diskutiert darüber, ob man sprechen soll oder vergessen - ob ich das Recht habe, es zu wissen und ob er das Recht hat, es zu verschweigen. Ich meinte, ich solle es wissen", erzählt Andrzej Szpilman.

Der 2000 verstorbene Wladyslaw Szpilman hat den Angaben seines Sohnes zufolge das Buch nicht gelesen. Er konnte aber wohl "eine bestimmte Zufriedenheit erleben, dass das Schicksal seiner Familie, der Tod dieser Menschen nicht vergessen wird". Auch von den Filmplänen wusste sein Vater, erzählte Andrzej Szpilman anlässlich der Österreich-Premiere in Wien. Den Film zu sehen hätte ihm sein Sohn allerdings nicht empfohlen.

"Der Pianist", in der Regie von Roman Polanski und mit Adrien Brody in der Titelrolle, läuft morgen, Freitag, in österreichischen Kinos an.