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Aus für Sender der Krimtataren

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Russische Behörden gehen rigoros gegen Journalisten vor: Ein Jahr nach der Annexion der Krim wurden praktisch alle kremlkritischen Stimmen zum Schweigen gebracht.


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Simferopol. Wie eine Festung liegt das Gebäude von ATR in der Vorstadt von Simferopol. Der Wind braust um den zweistöckigen grauen Bau: "Erster Sender der Krimtataren" ist in Lettern quer über die Front geschrieben - auf Krimtatarisch, Ukrainisch und Russisch. Am Empfang hängen Urkunden, gerahmt und blankgeputzt, als hätte man sie gerade erst aufgehängt. Trotzdem sind sie wie aus einer anderen Zeit: blau-gelb unterlegt, von ukrainischen Behörden ausgestellt. Mit der russischen Annexion der Krim wurde für den jungen Privatsender, der 2006 gegründet wurde, eine neue Ära eingeleitet: Im Jänner stürmten bewaffnete Milizen das Studio - auf der Suche nach Videomaterial über eine Demonstration, bei der Krimtataren gegen das umstrittene Referendum protestiert hatten. Die Krimtataren, die unter Stalin nach Zentralasien deportiert wurden und erst in den 90er Jahren wieder auf die Krim zurückkehren konnten, hatten sich von Anfang an gegen die Angliederung an Russland gestellt.

Keine gesetzliche Grundlage

Inzwischen steht der Sender vor dem Aus. "Schon vier Mal haben wir schon unsere Unterlagen an die Behörde geschickt - ohne Erfolg", klagt Schewket Memetow, Vorstand des Senders. Seit der Annexion der Krim müssen sich alle Medien bei der russischen Medien-Aufsichtsbehörde Roskomnadsor registrieren lassen. Mit April endete die Übergangsfrist. Seit Mitternacht hat der Sender somit seinen Betrieb eingestellt, da es "keine gesetzliche Grundlage" mehr für seine Arbeit gibt, so ATR-Gründer Lenur Islamow.

Dabei hatte der Sender ATR zuletzt versucht, sich aus der Schusslinie der kremltreuen Behörden zu nehmen: "Ausdrücke wie ,Annexion‘ oder ,Okkupation‘ verwenden wir nicht mehr auf Sendung", sagte Vize-Direktorin Lilja Budschurowa zuletzt in einem Radio-Interview. "Ansonsten würden wir sofort wegen Separatismus verfolgt werden."

Dieser Tage hatte der Premier der Krim, Sergej Aksjonow, dem Sender vorgeworfen, die "unterschiedlichen Volksgruppen auf der Krim gegeneinander aufzuhetzen." Vorstand Memetow weist das zurück. "Wir berichten eben nicht nur die offizielle Sicht der Dinge. Wenn die Straßen schlecht sind oder irgendwo der Strom ausfällt - dann zeigen wir das auch." Durch die Isolation vom ukrainischen Festland kommt es auf Halbinsel immer wieder zu Engpässen in der Versorgung, in den russischen Medien werden allerdings die Errungenschaften seit der Machtübernahme vor einem Jahr in den Vordergrund gerückt. Zudem hatte ATR zuletzt als eines der wenigen lokalen Medien über die Verfolgung Andersdenkender berichtet.

Nur noch russische Medien

Bereits im vergangenen Sommer wurden ukrainische Fernsehsender aus dem Kabelnetz der Krim ausgeschlossen. An ihrer Stelle werden praktisch nur noch russische Sender ausgestrahlt. Ukrainische Zeitungen werden schon seit der Annexion nicht mehr auf die Halbinsel geliefert, der krimtatarischen Presseagentur QHA wurde ebenso die Registrierung verweigert.

Vor allem Mitte März, rund um den Jahrestag der Annexion, wurde der Druck auf unabhängige Medien noch einmal erhöht: Es kam zu Verhören und Hausdurchsuchungen bei Journalisten. Selbst ein polnischer Journalist wurde zuletzt von Milizen festgenommen, weil er einen Aktivisten interview hatte, der ein Band mit der ukrainischen Nationalflagge bei sich trug. Der Journalist wurde aber kurz darauf wieder freigelassen.

Mundtot gemacht

"Wenn ihr mit den Verhältnissen auf der Krim nicht einverstanden seid, dann reist aus - oder schweigt", fasst ein lokaler Journalist, der anonym bleiben will, die inoffizielle Doktrin der Behörden zusammen. Jene kritischen Journalisten, die geblieben sind, publizieren meist nur noch unter Pseudonym. Telefonate sollen indes vom russischen Geheimdienst abgehört werden. "Es läuft darauf hinaus, dass wir bald keine Möglichkeit mehr haben werden, eine ‚andere‘ Stimme von der Krim zu vernehmen", sagt Anastasia Magasowa, eine Journalistin aus Simferopol, die inzwischen in Kiew lebt. Sie schätzt, dass neben dem Kollektiv von ATR nur noch eine Gruppe von zehn Journalisten auf der Krim geblieben ist, die kritisch über die Verhältnisse berichtet. Es wird befürchtet, dass sich die Lage nach dem Ende der Übergangsfrist noch weiter verschlechtert.

Bei ATR gibt man sich derweil noch kämpferisch. Am vergangenen Wochenende wurde unter dem Motto "Lasst ATR nicht sterben!" ein Programmschwerpunkt zum Erhalt des Senders gestartet. "Wenn sie uns zusperren, dann nehmen sie uns die Möglichkeit, in unserer Muttersprache zu sprechen und zu denken", sagt Vorstand Memetow. Deswegen will Memetow, der wie so viele Krimtataren in den 90er Jahren aus der usbekischen Diaspora zurückgekehrt ist, so schnell nicht aufgeben. "Wir müssen leben und arbeiten - und zwar hier, auf der Krim. Und nur auf der Krim." Wann und ob ATR wieder auf Sendung geht, ist aber vorerst völlig unklar.