"Gerichtsbarkeit ist ein Problem." | Programme für Roma auf EU-Ebene. | "Wiener Zeitung": Gratuliere - obwohl die Popularität der bulgarischen Regierung im zweiten Jahr nach der Wahl sinkt, steigen Ihre Beliebtheitswerte.
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Tsvetan Tsvetanow: Das verdanke ich der Zusammenarbeit mit anderen Kollegen im Innenministerium. Die bulgarische Gesellschaft hat sich einen echten und effektiven Kampf gegen die Kriminalität erwartet. Die jetzige Regierung hat den politischen Willen dazu, und es geht darum, genug Mut und Ehrlichkeit zu haben, mit den Kollegen und der Öffentlichkeit zusammenzuarbeiten.
Den politischen Willen bescheinigt Ihnen auch die EU-Kommission. Dennoch fordert sie weitere Anstrengungen im Kampf gegen Kriminalität und Korruption. Wie wollen Sie das erfüllen?
Innerhalb eines Jahres ist es uns gelungen, große kriminelle Gruppierungen zu neutralisieren. In den Jahren 2008 und 2009 gab es fast jeden Monat eine Entführung, um Geld zu erpressen. Im Vorjahr haben wir die Täter verhaftet, und heuer hatten wir keine einzige Entführung. Und wir haben Anklage gegen Minister der vorigen Regierung wegen Korruption erhoben. So ist es uns gelungen, das Vertrauen der Bevölkerung zu gewinnen. Wir sind die größten Feinde der organisierten Kriminalität geworden.
Die Justiz ebenso?
Die Gerichtsbarkeit ist ein Problem. Die Verschleppung von Verfahren verursacht Korruption wie auch Verlust des Vertrauens der Bevölkerung in die Institutionen. Daher wollen wir ein Sondergericht schaffen. Das Projekt befindet sich bereits im Parlament, und wir erwarten, dass es bis Weihnachten bewilligt wird. Es würde uns schnelle Verfahren zu schwerer Kriminalität ermöglichen, etwa gegen jene Entführer oder Schutzgeld-Erpresser.
Korruption auf einer niedrigeren Ebene wird auch durch geringe Löhne gefördert. Wie wollen Sie Korruption etwa in den Reihen der Polizei bekämpfen, wenn Sie auf der anderen Seite wegen Sparzwängen das Budget kürzen müssen?
Es stimmt, dass Korruption auch von der niedrigen Bezahlung abhängt. Aber unsere Beamten führen das gar nicht als Hauptproblem an. Früher hat es nicht einmal einen politischen Willen gegeben, Korruption zu bekämpfen: Es hat keine Aufgabenverteilung und keine Kontrolle gegeben. Unsere Ämter hatten nicht einmal die operative Freiheit, dagegen vorzugehen. In der Übergangszeit der 90er-Jahre ist die politische Oberschicht mit der organisierten Kriminalität verschmolzen.
Ist sie das noch immer?
Sie hat versucht, diese Abhängigkeit abzuschütteln. Doch war das nicht möglich. Daher haben wir 2006 ein neues politisches Projekt ins Leben gerufen: die Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens). Die Mitglieder dieser Bewegung, bei der ich von Anfang an mitgemacht habe, haben an den Vorsitzenden - und jetzigen Premier - Bojko Borissow geglaubt.
Was war das Angebot an die Bevölkerung?
Ihr hat eine politische Alternative gefehlt. In vier Jahren haben wir alle Wahlen gewonnen. Dabei haben wir auf neue Personen in der Politik gesetzt. Die Mehrheit unserer Abgeordneten im Parlament hat früher keine politische Tätigkeit ausgeübt.
Was würden Sie selbst als derzeit größte Herausforderung für Bulgarien bezeichnen?
Die Verschuldung, die wir von der vorigen Regierung geerbt haben. Auch die Lukrierung der EU-Gelder ist für uns ein Problem. Bis jetzt werden nur neun Prozent aus den Mitteln für ländliche Entwicklung ausgeschöpft. Wir arbeiten daran, das um das Zwei- bis Dreifache zu steigern. Ich kann jetzt schon sagen, dass der heurige Sommer sich als erfolgreich für den Tourismus erweisen wird - und der macht immerhin 14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus und beschäftigt 140.000 bis 150.000 Menschen. Wir versuchen auch, ein gutes Umfeld für Investoren zu schaffen, investieren selbst in die Infrastruktur. So flossen 130 Millionen Euro in die Erweiterung des U-Bahnnetzes in Sofia.
Wie reagiert Bulgarien auf die Abschiebung von Roma aus Frankreich?
Die Menschen sind freiwillig zurückgekehrt.
Freiwillig? Die Menschen werden doch des Landes verwiesen.
Vor ein paar Tagen hat eine Gruppe vor den Medien erklärt, sie sind freiwillig zurückgegangen. Sie haben 300 Euro bekommen und waren mit der Rückkehr einverstanden.
Hat die bulgarische Regierung eine Stellungnahme von Frankreich gefordert?
Wir sollten aus diesen Vorfällen kein Problem generieren. Wir sind um alle bulgarischen Bürger bemüht. Dennoch sollte der Eindruck vermieden werden, dass es Formen der Eingrenzung der Bewegungsfreiheit von EU-Bürgern gibt.
Wie kann die Integration der Roma gefördert werden?
Wir bemühen uns sehr, solch eine Integrationspolitik zu führen, auch wenn die Ergebnisse der letzten 20 Jahre mager waren. Es ist nötig, dass wir die Menschen ausbilden, damit sie einen Arbeitsplatz finden. Doch solche Programme wären auf EU-Ebene ebenfalls nötig.
Tsvetan Tsvetanow (45) ist seit Juli des Vorjahres bulgarischer Vizepremier und Innenminister.
"Wir wollen ein Sondergericht für organisierte Kriminalität schaffen. Es würde uns schnelle Verfahren ermöglichen."