Durch die Wahl zum EU-Parlament, den Beschluss der europäischen Verfassung und der Kür des Kommissionspräsidenten ist ein Jubiläum fast untergegangen: Nach Monaten höchst emotionaler Debatten stimmten am 12. Juni 1994 zwei Drittel der Österreicher für den Beitritt zur EU. Zehn Jahre später sehen sich viele, die sich für ein "Nein" eingesetzt hatten, in ihrer damaligen Meinung bestätigt - egal ob in den Bereichen Landwirtschaft, Verkehr oder Neutralität. Nur wenige haben ihre Haltung zur EU geändert.
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Mit besonderer Schärfe kritisieren vor allem die vor zehn Jahren in der Öffentlichkeit stehenden skeptischen Wissenschaftler sowohl die österreichischen Politiker als auch die Art und Weise der damaligen EU-Propaganda. Unter den wenigen prominenten Gegner, die nach der Abstimmung ins Pro-EU-Lager gewechselt sind, befindet sich die nunmehrige Umweltsprecherin der Grünen, Eva Glawischnig.
Glawischnig war damals Sprecherin der Umweltschutzorganisation Global 2000, für die sie eine EU-kritische Kampagne leitete. Ein Hauptgrund für ihr "Nein" im Namen der Umweltschutzorganisation seien die im Vergleich zur EU meist höheren Umweltstandards Österreichs gewesen. "Schon während der Kampagne hat sich mein Bild über die EU geändert", erklärt sie. Sie sei in dieser Zeit mehrmals nach Brüssel gereist und habe erkannt, dass "die Dinge viel differenzierter sind als ich das auf nationaler Ebene gesehen habe".
Glawischnigs Resümee: "Keine Frage, der Beitritt Österreichs war die richtige Entscheidung, aber man hätte mehr daraus machen können." Jedoch vermisse sie innerhalb der EU die Schrittmacherfunktion Österreichs in Umweltfragen.
Ganz im Gegenteil, "auf Naturschutzebene ist die EU das Optimum", verweist sie auf zahlreiche Klagen, die in diesem Bereich von EU-Seite gegen Österreich angestrengt wurden.
Als "Katastrophe" sieht sie hingegen den Verkehrsbereich: "Da ist 1:1 das eingetroffen, was wir vorhergesagt haben." Die Problematik liege darin, dass zwar die Grundfreiheiten im Verkehr voll ausgeprägt seien, es dazu aber kein Gegengewicht - etwa in der Form eines Grundrechtes auf Gesundheit - gebe.
In der Frage der Gentechnik nimmt Glawischnig hingegen die unter anderem auch von Jörg Haider heftig angegriffene EU-Kommission in Schutz. Haider hatte ja Kommissar Franz Fischler vorgeworfen, die bodenständige Landwirtschaft zu zerstören, indem er grünes Licht für die Gentechnik in der Landwirtschaft gebe. "Man darf sich nicht auf die EU ausreden, wenn man selbst nichts machen will", meint die Grüne. Als mögliche Maßnahme nennt sie die Koppelung nationaler Förderprogramme an eine gentechnikfreie Bewirtschaftungsweise.
"Ja ohne Wenn und Aber" als Fehler
Gänzlich anderer Meinung ist der Biologe Peter Weish, der an der Boku und der Uni Wien als Dozent tätig ist und der sowohl in der Zwentendorf-Diskussion 1978 als auch als Sprecher des Anti-Gentechnik-Volksbegehrens 1997 an vorderster Front kämpfte: "In der EU werden die Weichen für die Gentechnik in der Landwirtschaft gestellt. Die Regionen wie Oberösterreich, die gentechnikfrei sein wollen, werden unterlaufen, obwohl man genau weiß, dass es keine Koexistenz zwischen Gentechnik- und Biolandwirtschaft geben kann."
Nach dem Beitritt sei es ein Schock gewesen, festzustellen, dass viele Jahre kontinuierlicher Arbeit in Umwelt-, Atom- und Landwirtschaftsanliegen "mit einer millionenschweren Kampagne niedergemacht" worden seien. "Die Beitrittsverhandlungen konnten nicht gut gehen, wenn man schon vorher zu EU ,Ja ohne Wenn und Aber' gesagt hatte", erinnert Weish an einen Ausspruch des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky. Dementsprechend ortet er das Hauptproblem auch jetzt noch bei den eigenen Politikern: "Es war von vornherein klar, dass die gleichen Herren, die schon vor dem Beitritt den Umweltschutz blockiert haben, sich in diesen Fragen in Brüssel nicht durchsetzen werden." Nur hätten diese bei einem eigenständigen Österreich nicht die Möglichkeit, sich bei Missständen ständig auf Brüssel auszureden.
"Eine Zukunftspolitik etwa in Form einer ökosozialen Marktwirtschaft könnte in einem kleinen Land viel besser in Angriff genommen werden", meint Weish. Auch sei es "von der Regierung alles andere als anständig gewesen, die Neutralität im Vorhinein zu opfern." Statt "immer weiter in Richtung NATO oder anderer bewaffneter Allianz geschoben zu werden", hätte er sich von den Verantwortlichen erwartet, gemeinsam mit anderen neutralen Ländern eine klare Position zur Friedenspolitik herauszuarbeiten. Auch die Entwicklung an den Unis missfällt Weish: Zwar zahle Österreich jede Menge in EU-Töpfe ein, dennoch sei es viel schwieriger geworden, an das Geld heranzukommen, das zuerst an Brüssel ausgeteilt worden sei. "Spezifische, oft kleinräumige ökologische Probleme eignen sich eben nicht für Gemeinschaftsprojekte", beklagt er den Rückgang an direkter und auch industrieunabhängiger Förderung.
Ebenso könne er nicht verstehen, warum Österreich Geld für die Atomgemeinschaft EURATOM flüssig mache, es bei der Forschung für Alternativenergien nur wenige öffentliche Mitteln gebe. Insgesamt habe aber nicht die EU allein die Entwicklung zu verantworten, sondern "es ist die neoliberale Mentalität, die ihre Fratze zeigt".
Auffallend ist, dass sich fast alle Interviewten mit Schaudern an die "Diskussionskultur" vor der Volksabstimmung zurückerinnern: Weish spricht von einer "ungeheuerlichen Propaganda und Gehirnwäsche, mit der jede Diskussion unterbunden wurde" sowie von einer weitgehenden "Gleichschaltung der Medien". Ähnliche Worte findet Hermann Knoflacher, Vorstand des Institutes für Verkehrsplanung und Verkehrstechnik an der TU Wien, der angibt, ebenso wie viele andere öffentlich auftretenden Kritiker regelrecht "terrorisiert" worden zu sein.
"Lügen haben kurze Beine"
Dementsprechend seien die Österreicher "systematisch falsch informiert worden". So habe die Bevölkerung beispielsweise kaum Informationen über die wichtigen Verträge von Maastricht erhalten. Eine "ganz andere Stimmung" habe er damals in Skandinavien erlebt, wo er für verschiedene Gutachtertätigkeiten beigezogen wurde, erzählt Knoflacher.
Auch an den Politikern, die an den damaligen Verhandlungen beteiligt waren, lässt der Verkehrsexperte kein gutes Haar: "Die EU wusste, welche Schlüsselposition Österreich in der Verkehrspolitik hat. Doch wir haben keine Verbündeten gesucht, alle Trümpfe aus der Hand gegeben und uns für Jahrzehnte lächerlich gemacht." Die Auswirkungen seien - wie beim Thema Transit - jetzt deutlich sichtbar, denn "Lügen haben kurze Beine". Ein Umdenken habe er in den vergangenen zehn Jahren von den Verantwortlichen jedenfalls nicht erlebt: Die Politik bediene sich nicht der besten, sondern der für sie bequemsten Fachleute, meint Knoflacher.
Ebenfalls bestätigt sieht sich Alfred Haiger. In mehr als 150 Vorträgen hatte der ehemalige Vorstand des Institutes für Nutztierwissenschaften der Boku Wien vor einem "EU-Anschluss" gewarnt. So habe man etwa den Milchbauern und Viehzüchtern einen EU-Beitritt damit schmackhaft gemacht, dass der Export nach Italien bei einem Nichtbeitritt verloren gehen würde.
"Es kam anders", analysiert Haiger: "Der Zuchtviehabsatz nach Italien brach schon im ersten Beitrittsjahr bei um 25 Prozent niedrigeren Preisen um 60 Prozent ein." Auch sei es zu einer zeitweisen Halbierung der Schweine- und Gemüsepreise gekommen. Das Realeinkommen je familieneigener Arbeitskraft 2003 sei "trotz enormer Preisstützungen" nur auf dem niedrigen Niveau von 1994 geblieben - und das auch nur, weil zwischen 1995 und 2003 laut Wifo-Berechnungen fast 25 Prozent der Familienarbeitskräfte abgewandert sind".
Auch der große Markt habe nicht das gehalten, was von vielen (Agrar-)Politikern versprochen wurde: "So ist laut Statistik Austria der negative Agrarimport/-export-Saldo von 900 Mio. Euro um 14 Prozent auf 1.045 Mio. Euro gestiegen. Allerdings wird gegenüber 1994 drei- bis fünfmal mehr aus- und eingeführt - zur Freude des Handels und der Frächter, zum Leidwesen der (bäuerlichen) Erzeuger und nicht zuletzt der Straßenanrainer."
EU-Austritt?
Eine der konsequentesten Anti-EU-Linien verfolgte vor und nach der Abstimmung die unabhängige "Initiative für Heimat und Umwelt". Zuerst waren ihre Vertreter gegen einen EU-Beitritt, danach für einen Austritt Österreichs aus der EU. Vor dreieinhalb Jahren organisierten sie ein Volksbegehren für eine "Neuaustragung der EU-Volksabstimmung", das 194.000 Menschen unterschrieben. Fast alle getätigten Warnungen und Voraussagen seien eingetreten, zieht die Sprecherin der Initiative, Inge Rauscher, Bilanz: Von der Renaissance der Atomenergie über den (schleichenden) Verlust der Identität, die Demontage der Neutralität, die schlechter werdende Nahrungsmittelqualität bis hin zur wachsenden Macht der Großindustrie. Sinnbildlich dafür sei eine Schlagzeile des "Wirtschaftsblattes" vom 16. Jänner dieses Jahres gewesen: "EU killt Ostbetriebe: Chance für Österreicher", hatte es da geheißen. "Wir bräuchten mehr Zusammenarbeit anstatt Vernichtungswettbewerb", meint Rauscher.
Zwei EU-kritische Bücher, gespickt mit Expertenbeiträgen, gab der Salzburger Philosoph Günther Witzany, der allerdings auf Distanz zur "Initiative für Heimat und Umwelt" geht, 1993 und 1998 heraus. Für ihn hat sich "an den Problemfeldern Transit, Atom, Müll, Datenschutz, Demokratiedefizit, Umweltschutz, ´Teuro´, Manipulation der Medien und durch die Medien, Landwirtschaft seitdem nichts verändert".
Überall habe es "Feigenblattkosmetik" gegeben, hinter der sich massive Verschlechterungen eingestellt hätten: "Hat uns die Beitrittspropaganda noch weismachen wollen, dass wir nur in der EU bei unseren Problemen auch mitreden können, hat sich gezeigt, dass wir nichts zu reden haben." Die Schweiz habe sich hingegen als Nicht-Mitglied "kleine aber feine Sonderverträge" aushandeln können.
Doch die psychologische Wirkung ist für Witzany viel drastischer: "Die Österreicher waren ja einigermaßen geschockt, als sich 66 Prozent nach einer Propagandawalze, die nach dem 2. Weltkrieg ihresgleichen suchte, für den EU Beitritt aussprachen. Da wurden sogar die Erzbischöfe ,ins Bild' gerückt und es wurde gelogen, dass sich die Balken bogen."
Nun sei Ernüchterung eingezogen, die Mehrheit der Österreicher sei nun EU-skeptisch und das einzig gute an der EU-Verfassung sei eine dezidierte Austrittsklausel. Es bräuchte in diesem Land ein prominentes Personenkomitee, dass sich für den Austritt stark machen würde, meint Witzany.