Ein Drittel der Fälle ist kein Schicksal - wer das Gehirn fit hält, kann die Erkrankung vermeiden.
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London/Wien. Eine möglichst lange Ausbildung in der Jugend, Weiterbildung im Erwachsenenalter, auf intaktes Gehör achten, regelmäßig Bewegung machen und in späteren Jahren zu rauchen aufhören: Eine von drei Demenz-Erkrankungen müsste gar nicht erst ausbrechen, würden die Menschen auf die Gesundheit ihres Gehirns und ihres Herz-Kreislauf-Systems achten.
Somit sind wir selbst bei neuro-degenerativen Erkrankungen bis zu einem gewissen Grad unseres Glückes Schmied: Mit diesen spektakulären Erkenntnissen wartet eine Wissenschafterkommission im renommierten Fachjournal "The Lancet" auf. Die Forschenden haben die Auswirkungen von insgesamt neun Lebensstil- und Gesundheitsfaktoren im Laufe des Lebens berechnet. Sie kommen zu dem Schluss, dass 35 Prozent der Betroffenen den Ausbruch einer Demenzerkrankung durchaus verhindern könnten. Zum Vergleich: Genetische Risiken seien nur zu zehn Prozent beteiligt. Ihre Ergebnisse legten die Forschenden am Donnerstag bei der Jahreskonferenz der internationalen Alzheimer Association vor.
"Obwohl erste Anzeichen von Demenz in der Regel spät im Leben auftreten, beginnt das Gehirn schon Jahre davor, sich krankhaft zu verändern. Verschiedene Risikofaktoren für Demenz treten im Laufe des ganzen Lebens auf. In der Prävention muss somit ein breiterer Ansatz verfolgt werden als bisher", betont Gill Livingston, Professorin für die Psychiatrie älterer Menschen am University College of London und Erstautorin des Berichts.
Der Begriff Demenz kommt aus dem Lateinischen für "unvernünftig" und kann auch mit "Nachlassen der Verstandeskraft" übersetzt werden. Das psychiatrische Syndrom tritt bei verschiedenendegenerativen und nichtdegenerativen Erkrankungen des Gehirns auf, umfasst Defizite in kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten und führt zu Beeinträchtigungen bei sozialen und beruflichen Funktionen. Vor allem Kurzzeitgedächtnis, Denkvermögen, Sprache, Motorik, Orientierungsfähigkeit und bei einigen Formen auch die Persönlichkeitsstruktur sind betroffen.
Blutdruck und Bewegung
Weltweit gibt es 47 Millionen Demenz-Patienten - in Österreich sind es 100.000. Die globalen Kosten für medizinische Versorgung und Pflege beziffern die Forscher mit derzeit 711 Milliarden Euro. Bedingt durch die älter werdende Bevölkerung gehen sie bis 2050 von 131 Millionen Patienten aus, vor allem Menschen in ärmeren Ländern soll dies betreffen. Bei vielen Demenz-Formen gibt es keine klaren Erkenntnisse zu den Ursachen - die häufigste Art ist mit über 60 Prozent der Fälle die Alzheimersche Krankheit.
Livingston und ihre Kollegen heben hervor, dass jeder Mensch sein Risiko, dement zu werden, durchaus einschränken könnte. Es gelte, das Gehirn in Schuss zu halten. In gewissem Sinn funktioniere unser Denkorgan wie der Muskelapparat: Wer früh durchtrainiert ist, bleibt das ganze Leben grundsätzlich fit. In diesem Sinn solle nach dem Pflichtschulabschluss mit 15 Jahren die Ausbildung möglichst fortgesetzt werden. "Ein abgebrochener Bildungsweg baut zu wenige kognitive Reserven auf", warnt Livingston: "Wenn die Hirn-Netzwerke früh gestärkt werden, funktionieren sie lange, selbst wenn andere Gehirnregionen erkranken": Gut eingespielte Neuronen können Verluste kompensieren.
Auch ein exaktes Gehör könnte es ermöglichen, kognitive Reserven aufzubauen, da beginnende Taubheit zunehmende soziale Isolation mit sich bringt. Allerdings müssen die Forscher erst herausfinden, ob schlechteres Hören eine Folge von beginnender Demenz ist oder ob die Demenz durch die soziale Isolation entsteht. Eindeutig sind laut den Wissenschaftern die gefährliche neurotoxische Wirkung des Rauchens ab einem Alter von 65 Jahren und die positiven Auswirkungen von regelmäßiger Bewegung auf das Herz-Kreislauf-System, das auch die Gehirnfunktionen beeinflusst. Weiters sollten im Alter von 45 bis 65 Jahren Bluthochdruck und schweres Übergewicht vermieden werden, der Entwicklung Diabetes Typ 2 vorgebeugt werden. Die Forscher unterstreichen außerdem den hohen Stellenwert der Pflege von sozialen Kontakten in der Demenz-Prävention. In einer Folgestudie wollen sie sich auf die Auswirkungen von Alkoholkonsum und Ernährung konzentrieren.