10.000 Jugendliche pro Jahr schaffen keinen Abschluss. | IHS-Forscher: Zu frühe Selektion im Bildungssystem. | Wien Österreich hat eine Drop-out-Rate im Schulsystem von zehn Prozent. In Polen sind es gerade einmal fünf Prozent. "Mit diesen Schulabbrechern kann man sehr wohl etwas machen. Die sind am System gescheitert", sagt Mario Steiner, Bildungsforscher am Institut für höhere Studien (IHS). Sozialminister Rudolf Hundstorfer will sich nun dieser Jugendlichen annehmen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Im Regierungsprogramm geht es noch um "Maßnahmen zur Sicherstellung der Ausbildungsgarantie". Jetzt will der Sozialminister für alle Jugendlichen vom 15. bis zum 18. Lebensjahr eine Ausbildungspflicht. Damit diese Pflicht auch als solche wahrgenommen wird, kann sich der Sozialminister Sanktionen vorstellen: Jugendlichen, die eine Ausbildung verweigern, könnte die Familienbeihilfe gestrichen werden.
Unterstützung erhielt der Minister von Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl, ebenso von Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner. Skeptisch ist Mitterlehner aber gegenüber den Sanktionen. Diese Skepsis wird vom Arbeits- und Sozialrechtler Wolfgang Mazal geteilt, der verfassungsrechtliche Bedenken hat: Die Familienbeihilfe sei keine Sozialleistung, die nach Gutdünken gewährt oder entzogen werden könne. Sie sei laut Judikatur des Verfassungsgerichts ein Ausgleich zur Unterhaltspflicht, die auch für junge Menschen in Ausbildung gewährt werde.
Etwa 10.000 Jugendliche fallen jährlich nach dem Schulabgang durch alle beruflichen und ausbildungsfähigen Raster, sagt Michael Landertshammer, Leiter der bildungspolitischen Abteilung der WKO. Ähnlich quantifiziert IHS-Bildungsforscher Steiner: In der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen gibt es zwischen 90.000 und 100.000 sogenannte Early School Leavers. Das sind Jugendliche, die keinen höheren Abschluss als jenen der Hauptschule haben und nicht mehr in Ausbildung sind. Genau sie haben auf dem Arbeitsmarkt extrem große Schwierigkeiten.
Steiner hat nichts gegen eine Ausbildungspflicht, er regt allerdings an, schon bei den 13-Jährigen anzusetzen: Die Jugendlichen müssten ihre eigenen Stärken entdecken und Schwächen orten, um dann eine Berufsentscheidung treffen zu können. Coaching wäre hier sinnvoll, meint er. "Es braucht ein Übergangsmanagement." Im Übrigen verweist Steiner auf die grundsätzlichen Mängel im Bildungssystem durch die frühe Selektion.
Auch Landertshammer beklagt Schwächen im Bildungssystem. "Es ist Aufgabe der Gesellschaft, dass die Jugendlichen am Ende der Schulpflicht qualifiziert sind." Das Ziel müsse sein, 98 Prozent der Jugendlichen nach der Pflichtschule so weit zu bringen, dass sie eine Lehrstelle finden oder eine weiterführende Schule besuchen können.
Teilqualifikationen bei der Lehre schaffen
Machbar, sind sich Steiner und Landertshammer einig, wäre eine Ausbildungspflicht allemal. Es gibt schon jetzt 10.000 Plätze in überbetrieblichen Lehrwerkstätten und mittlerweile auch schon 20 Produktionsschulen. "Wir haben eine 15-jährige Tradition im Auffangnetz für Jugendliche", sagt Steiner.
60 Prozent schaffen den Übertritt von den Lehrwerkstätten in eine reguläre Lehre. "Da bleiben immer noch 40 Prozent", sagt Landertshammer. Er rät dazu, Teilqualifikationen im Bereich der Lehre anzubieten, wie das bei der Integrativen Berufsausbildung schon jetzt möglich ist.