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Ausgabenbremse trifft Inkontinenz-Patienten

Von Karl Ettinger

Politik

In der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse kommt es zum Präzedenzfall: Beschlüsse sind blockiert.


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St. Pölten/Wien. Die von der ÖVP-FPÖ-Koalition vor der Sommerpause des Parlaments im Eilzugstempo durchgezogene Ausgabenbremse für die Sozialversicherung hat schon bisher viel Staub aufgewirbelt. Aber jetzt ist der Ernstfall eingetreten, weil das umstrittene Gesetz nun kundgemacht und seit Mittwoch in Kraft ist. In Niederösterreich hat das vorerst einen Aufschub von Beschlüssen im Vorstand der Gebietskrankenkasse (NÖGKK) zur Folge. Es geht um einen Präzedenzfall, wie der "Wiener Zeitung" erläutert wurde. Es betrifft auch einen Vertrag über die Auslieferung von Windeln an rund 27.000 Patienten, die an Inkontinenz leiden. Gibt der NÖGKK-Vorstand trotzdem grünes Licht, könnten sie auch mit dem Privatgeld haftbar sein.

Die türkis-blaue Mehrheit hat mit ihren Stimmen beschlossen, dass – teurere - Bauprojekte in der Sozialversicherung blockiert, Topfunktionen bis Ende 2019 wegen der von ÖVP und FPÖ geplanten Kassenreform befristet  und Verträge etwa über Ärztehonorare limitiert sind. Warum betrifft das nun auch die Windeln für Inkontinenz-Patienten in Niederösterreich? Der Vorstand der niederösterreichischen Gebietskrankenkasse wollte am Donnerstagvormittag mehrere Punkte beschließen, darunter war auch die Verlängerung eines Vertrags mit der niederösterreichischen Wirtschaftskammer. Dieser läuft seit 2014 und regelt die Direktlieferung von Windeln an die betroffenen 27.000 Patienten, die dafür eine Bewilligung erhalten haben, im Bundesland durch kleinere Bandagisten. Der Vertrag läuft mit Jahresende aus, das Abkommen sollte bis 2020 verlängert werden. Daraus wurde vorerst nichts.

Inkrafttreten durchkreuzte die Pläne der NÖ-Kasse

Der Haken dabei: Die Kosten für die Vertragsverlängerung sind über jenem Niveau, das die Ausgabenbremse zulässt. Die gesetzliche Regelung sieht nämlich vor, dass die Ausgaben nur in der Höhe der Beitragseinnahmen steigen dürfen. In der NÖGKK wird die geplante, stärkere Anhebung des Tarifs mit der steigenden Anzahl älterer Menschen begründet, die unter Inkontinenz leiden und solche Windeln verordnet erhalten. Das Treffen des Vorstandes ist bewusst am gestrigen Donnerstag angesetzt worden, weil man so dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes zur Ausgabenbremse zuvorkommen wollte. Dann wäre auch die Verlängerung des Vertrages mit der NÖ-Wirtschaftskammer noch kein Problem gewesen. Weil das Gesetz aber seit Mittwoch in Kraft ist, hat dies den NÖ-Kassenplan durchkreuzt.

In der Sitzung, so wird berichtet, machte die Aufsichtskommissärin des Sozialministeriums auf die Auswirkungen der neuen Kostenbremse aufmerksam. Das betraf auch noch Personalentscheidungen und den – behindertengerechten – Ausbau zweier Servicestellen der Kasse in Pöchlarn und Neunkirchen. Der Beschluss über die Verlängerung des Windel-Vertrages wurde daraufhin von der Tagesordnung genommen. Der Obmann der NÖGKK, Gerhard Hutter, sah sich in den Befürchtungen bestätigt, dass im Gegensatz zu den Aussagen der Bundesregierung und von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) auch Patienten und somit Versicherte von negativen Folgen der Ausgabenbremse betroffen seien. "Damit trifft man – gerade im Bereich der Versorgung – kranke Menschen in seinem besonders sensiblen Bereich", schäumte der Kassenobmann. Mit dem neuen Gesetz seien der Führung der Kasse "die Hände gebunden", beklagte Hutter. Man werde aber gegen die "negative Entwicklung Widerstand leisten".

"Wir sind jetzt wirklich in der Bredouille"

Wie es im Fall des Vertrages über die Windel-Direktlieferungen weitergeht, ist offen. "Wir sind jetzt in einer wirklichen Bredouille", analysiert Jan Pazourek, der Generaldirektor der NÖGKK, im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". Die Vorstandsmitglieder können haftbar gemacht werden und haften auch mit ihrem Privatgeld. Daran würde nicht einmal der Sanktus der Sozialministerin für eine Verlängerung des Vertrages etwas ändern. Denn auch ein Regierungsmitglied kann sich nicht über geltende Gesetze hinwegsetzen. Bleibt nur die Frage zu klären, ob der Vertrag über die Windeln für Inkontinenz-Patienten tatsächlich auch unter die Neuregelung fällt.

Vor ähnliche Probleme werden demnächst auch andere Spitzenfunktionäre in der Sozialversicherung gestellt sein. Denn in allen Bundesländern stehen in den Kassen eine Reihe von Bauprojekten und Entscheidungen an.

Sozialministerium wirft Kasse "Unwahrheiten" vor

Für Sozialministerin Hartinger-Klein stellt sich die Sache anders dar: Die Behauptungen der NÖGKK zur "Ausgabenbremse" seien "unwahr". Denn es handle sich in diesem Fall um die Beschaffung von medizinisch notwendigen Artikeln, die selbstverständlich vom Gesetz nicht betroffen seien. Zu den baulichen Maßnahmen betont das Sozialministerium, das Projekt in Pöchlarn sei bereits genehmigt. Es gehe nur noch um die Ausschreibung. Beim Projekt Neunkirchen werde die Dringlichkeit geprüft. "Die NÖGKK und die SPÖ Niederösterreich wissen das und versuchen mit der bewussten Verbreitung von Falschmeldungen bewusst, Patienten zu verunsichern", teilte das Büro der Ministerin der "Wiener Zeitung" mit: "Die NÖGKK ist aufgefordert, diese schäbigen parteipolitischen Methoden sofort einzustellen und nicht weiter Unwahrheiten zu verbreiten."