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Ausgebrannt mit 42

Von WZ-Korrespondent Jörg Schmilewski

Politik

"Der Tank ist leer", sagte Neuseelands Premier Jacinda Ardern. Damit geht eine ungewöhnliche und weltweit viel beachtete politische Persönlichkeit.


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Nun ist es also schon vorbei mit dem neuen Politikstil: Neuseelands oft gefeierte Premierministerin Jacinda Ardern, 42 Jahre alt, will zurücktreten. Wie Kanadas Regierungschef Justin Trudeau steht sie für eine neue Politikergeneration, denn Ardern gilt nicht nur als intelligent und dynamisch, sondern zugleich auch als uneigennützig und offen für Debatten sowie Verhandlungen mit dem politischen Gegner.

Schon vor 25 Jahren machte Ardern Wahlkampf für einen Abgeordneten des neuseeländischen Parlaments und entwickelte die Fähigkeit, Menschen auf der Straße mit ihren politischen Vorstellungen zu begeistern. Bald stieg sie zur Führungsfigur von Young Labour auf. Als Labour 2008 die Regierungsbank räumen musste, schaffte Ardern selbst den Sprung ins Parlament, die Internationale Union der Sozialistischen Jugend wählte sie noch im selben Jahr zu ihrer Vorsitzenden. Das wiederum ermöglichte ihr lehrreiche Reisen, unter anderem nach China und Israel.

Bei der ersten Pressekonferenz des neuen Jahres aber läutete Ardern das - zumindest vorläufige - Ende ihres steilen Aufstiegs ein: Sie werde ihr Amt als Premierministerin aufgeben, weil sie ausgebrannt sei.

Premier und Mutter

Kritiker, die behaupten, Ardern lasse ihre Labour Party ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen im Stich, weil sie sich vor einer Wahlniederlage fürchte, sollten sich an ein paar schlichte Tatsachen erinnern, die Arderns frühzeitigen Abtritt von der politischen Bühne als durchaus nachvollziehbar erscheinen lassen. Mit 37 Jahren avancierte Ardern 2017 zur jüngsten Regierungschefin weltweit, ohne jemals zuvor Regierungsverantwortung übernommen zu haben. Darüber hinaus war die Neuseeländerin nach der früheren pakistanischen Ministerpräsidentin Benazir Bhutto erst die zweite Regierungschefin, die im Amt schwanger wurde, ein Kind zur Welt brachte und die - sozusagen nebenbei - kräftezehrenden Pflichten einer Mutter übernahm.

Die Krisen, die Ardern in mehr als fünf Jahren bewältigen musste, haben Spuren hinterlassen. Zuerst das Massaker von Christchurch. Kurz darauf ein schwerer Vulkanausbruch, bei dem viele Touristen den Tod fanden. Neuseelands Ruf als sicheres Tourismusziel war in Gefahr. Und wenig später begann die Corona-Krise, die Ardern mit ihrer von Labour angeführten Regierung nach Meinung von Virologen hervorragend meisterte, während es für andere Staatslenker rund um den Globus nicht selten in einem Debakel endete. Kritiker meinen jedoch, dass Ardern ihr Land viel zu lang vom Rest der Welt abgeschottet und somit dem Tourismus immens geschadet habe. Für viele Wählerinnen und Wähler der Labour Party war die Ankündigung des Rücktritts hingegen ein richtiges Schockerlebnis, so kurz nach dem Ende der Weihnachtsferien, die in Neuseeland in die Sommermonate fallen.

Politisch erfolgreich

Der Parteivorstand hat nun die schwierige Aufgabe, in den nächsten sieben Tagen einen neuen Vorsitzenden und Premierminister zu küren. Oder eine Nachfolgerin, ist Jacinda Ardern doch bereits die dritte Frau im Amt der neuseeländischen Regierungschefin. Gelingt die Kür nicht, müssen alle Sozialdemokraten einen neuen Vorstand wählen. Das könnte zu einer veritablen Regierungskrise führen. Gelingt es Labour hingegen, sich mit großer Mehrheit auf einen neuen Chef oder eine neue Chefin zu einigen, prognostizieren Demoskopen der Partei gute Chancen auf den Machterhalt in der Hauptstadt Wellington.

Größte Oppositionspartei Neuseelands ist die National Party mit dem in seinen Zielvorstellungen bislang vage gebliebenen Parteivorsitzenden Christopher Luxon. Neuseelands Nationalpartei ist nicht zuletzt deshalb auf den Oppositionsbänken gelandet, weil ihr über viele Jahre beliebter Parteichef und Premierminister John Key 2016 aus ganz ähnlichen Gründen wie nun Ardern zurücktrat.

Auch Keys Rückzug war überraschend, denn der Investmentbanker hatte den südpazifischen Inselstaat zu diesem Zeitpunkt acht Jahre lang weitgehend skandalfrei regiert und war insbesondere in den eigenen Reihen überaus beliebt.

Was Jacinda Ardern angeht, ist die Überraschung umso größer, weil Ardern auf der Basis schlichter Wirtschaftsdaten ein ziemlich geordnetes Land hinterlässt: Nach einem langen Corona-Lockdown wuchs die Volkswirtschaft zuletzt wieder, eine Rezession droht nur im Falle eines Abschwungs der Weltwirtschaft. Neuseelands Arbeitslosigkeit ist gering. Mehr noch: In den meisten Städten und Gemeinden werden Arbeitskräfte händeringend gesucht. In vielen Schaufenstern heißt es: "Wir stellen ein. Bitte bewerben Sie sich."

Die Staatsverschuldung des Inselstaats im Südpazifik ist im internationalen Vergleich äußerst gering: Hier muss niemand nach einer Schuldenbremse rufen wie derzeit in den Vereinigten Staaten, und eine Krise wie in Europa mit mehreren hochverschuldeten Ländern gibt es in Neuseeland nicht. Zudem hat es Ardern nach fünfeinhalb Jahren im Amt geschafft, viele Obdachlose von der Straße zu holen und in sozialen Einrichtungen unterzubringen. Das war eines der Ziele der Premierministerin.

Tröstende Worte

Arderns größtes Talent ist es indes, in Krisensituationen die passenden Worte zu finden. So wie 2019, als sie mit Erfolg um die richtigen Formulierungen rang, nachdem ein rassistischer Attentäter 51 Menschen in zwei Moscheen der Stadt Christchurch tötete. Als ein Jahr später die Corona-Pandemie begann, bat Ardern ihre Landsleute in Neuseeland inständig, freundlich miteinander umzugehen und Nachbarn zu helfen, wenn diese in Not seien.

Nun hat die weltweit als besonders einfühlsam wahrgenommene Politikerin ziemlich harte Worte gefunden, die ihre eigenen Grenzen offenlegen. "Ich habe nichts mehr im Tank", sagte Jacinda Ardern und reichte ihren Rücktritt ein. Es ist das schlichte Eingeständnis, ausgebrannt zu sein.