Zum Hauptinhalt springen

Ausgefroren von der EU

Von Andrea Contenta

Kommentare

Die extreme Abschreckungspolitik gegen Flüchtlinge fällt entlang der Balkanroute mit einem der härtesten Winter der vergangenen Jahre zusammen.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 7 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Ich habe meinen Einsatz mit Ärzte ohne Grenzen in Serbien Ende des Sommers 2016 begonnen. Das Land wurde damals noch für ein Transitland für Flüchtende und Migranten gehalten - es gab einen konstanten Fluss an Menschen, die trotz angeblich geschlossener Balkanroute durch Serbien reisten. Der Großteil war mit Schleppern unterwegs. Gegen Ende des Sommers begann sich die Situation zu ändern. Es schien, als wollten sich die Länder entlang der Balkanroute ausstechen, wer die beschwerlicheren und abschreckenderen Methoden einsetzte, um die Bewegung der Menschen aufzuhalten.

Gewalt durch Grenzbeamte

Mindestens die Hälfte der Patienten, die wir zu jener Zeit in unseren mobilen Kliniken behandelt haben, haben Gewalt erfahren: Die Verletzungen reichten von Hundebissen über schwere Prellungen bis zu Verletzungen durch den Einsatz von Pfeffersprays oder Tasern. Die Menschen haben uns berichtet, dass die Gewalt durch die Grenzbeamten entlang der Route - inklusive Frontex - verübt wurde. Traurigerweise waren auch Kinder betroffen. Ich erinnere mich gut an ein zweijähriges Kind, dem mit Pfefferspray ins Gesicht gesprüht worden war.

Weitere vier Monate sind bis heute vergangen. Die extreme Abschreckungspolitik wird nach wie vor weitergeführt und fällt mit einem der härtesten Winter der vergangenen Jahre zusammen. In Belgrad begann es am 3. Jänner zu schneien. Zu jener Zeit schliefen hier rund 1600 Menschen im Freien, zum Teil in verlassenen Lagerhäusern, und verbrannten, was sie fanden, um sich warm zu halten. Es war auch die Zeit, als wir Berichte hörten, dass eine junge Somalierin in Südbulgarien und zwei Iraker an der Grenze zwischen der Türkei und Bulgarien erfroren waren. Vorige Woche sind die Temperaturen auf minus 16 Grad gefallen, die Zahl der Gestrandeten in Belgrad hat 2000 erreicht. Wir haben hier jetzt 30 Zentimeter Schnee, und den Menschen fehlt es an Winterkleidung. Die lokalen Behörden hatten mit November begonnen, Helfer aus der Zivilgesellschaft einzuschüchtern, sodass diese die Verteilung von warmer Kleidung einstellen mussten.

Gefährliche Frostbeulen

Wir haben allein in 24 Stunden sieben Menschen mit Frostbeulen in Belgrad behandelt. Diese Verletzungen sind viel schlimmer, als sie sich anhören. Frostbeulen verhindern, dass Blut in die Arme und Beine fließt, die Nerven werden betäubt, in den schlimmsten Fällen muss amputiert werden. Die Zahl der Patienten mit Frostbeulen wird wohl in den kommenden Tagen drastisch ansteigen.

Den Winter an sich können wir nicht kontrollieren. Das wahre Problem ist jedoch der fehlende politische Wille, die unmittelbaren Bedürfnisse dieser gefährdeten Menschen anzusprechen. Dies ist ein Versagen der Europäischen Union, die zudem nicht erkennt, dass ihre schlecht geplante Politik den Fluss der Menschen nicht stoppt. Nach wie vor gibt es keine Möglichkeit für Flüchtende und Migranten, sicher zu reisen.

So zu tun, als wäre die Balkanroute geschlossen, ist keine Lösung. Was auch immer man über das Recht dieser Menschen, nach Europa zu reisen, denken mag: Sie haben das Recht, als Menschen mit Würde behandelt zu werden. Im Moment werden sie das nicht.