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Ausgeträumt

Von Petra Ramsauer

Gastkommentare
Petra Ramsauer ist freie Journalistin und Autorin.

Wie man eine gewonnene Revolution verliert: Das Beispiel Ägyptens gefährdet die Demokratiebewegungen im gesamten arabischen Raum.


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Spätestens am Sonntag droht in Ägypten die nächste Konfrontation: "Wir verlassen unsere Häuser und kehren erst zurück, wenn das Regime des Präsidenten endet. Oder wenn wir sterben", so Abdel Fattah Sabry einer der Aktivisten der Protest-Bewegung namens "Tamarod", zu Deutsch "Die Rebellion".

Das Bündnis der wichtigsten Oppositionsgruppen sammelt Unterschriften für eine Petition, die den Rücktritt von Präsident Mohammed Mursi fordert. Untermauert werden soll dies von Massenprotesten am 30. Juni, dem ersten Jahrestag seines Amtsantritts. Mursi droht, die Armee einzusetzen und kündigt an, dass ab Freitag Islamisten-Gruppen Kundgebungen für ihn abhalten werden. Der Machtkampf zwischen Islamisten, die alle Wahlen gewannen, und der säkularen Opposition, die alle Wahlen verlor, geht also in die nächste Runde.

Einmal mehr ist es dabei der modernen "Generation Revolution" nicht gelungen, dem chaotischen Regierungsstil der Muslimbruderschaft ein mehrheitsfähiges - und durchdachtes - Gegenkonzept entgegenzuhalten. Aktionismus statt Stabilität schrammt an der Grundsehn-

sucht des Großteils der 84 Millionen Ägypter um Lichtjahre vorbei.

Denn so legitim die Kritik an Mursi und seiner machthungrigen Bruderschaft auch sein mag, so wenig vereinbar sind die Methoden der "Rebellion" gegen einen legitimen Präsidenten mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit.

Die Lust der westlichen Staaten, weitere Revolutionsbewegungen zu unterstützen, hat mit Blick auf Ägypten spürbar einen Tiefpunkt erreicht. Fehlt ein konkreter Plan B - vielmehr Plan D wie "demokratischen Ordnung" - für die Zeit nach dem Sturz von Autokraten und Diktatoren, droht Chaos. So einfach liest sich die Gleichung; kreiert und bewiesen in der arabischen Super- und Leitnation.

Der politische Kredit, den die Träger des Arabischen Frühlings in Ägypten problemlos bekamen, obwohl sie ohne Plan und ohne Kader antraten, ist aufgebraucht. Niemand will mehr Geburtshelfer einer neuen Ordnung sein, deren Führung sich im ewigen Selbstfindungsprozess verschleißt und so Tür und Tor für radikale Islamisten öffnet.

Verheerend sind die Konsequenzen auch für das geplagte Syrien. Ebenso wenig wie den Oppositionskräften in Ägypten gelang es moderaten Regimegegner, eine tragfähige Basis zu bilden. Im "syrischen Nationalkongress" ist die Muslimbruderschaft dominierender Machtfaktor, am Boden übernehmen radikale Islamisten den Kampf. Die modernen, pazifistischen Kräfte haben ihre Chance auch selbst vertan. Doch das Beispiel Ägyptens hat auch sie um den dringend benötigten Vertrauensvorschuss gebracht. Und somit um tatkräftige Unterstützung.

"Was auch immer passieren wird: Ägypten hat seine Rolle als Führungsmacht zurückerlangt und wird den Weg vorgeben", hieß es im Leitartikel des britischen "The Guardian" am 12.Februar 2011, nach dem Sturz Mubaraks. Damals barg dies eine große Hoffnung. Heute liest sich der Satz wie eine Drohung. Nicht bloß für Syrien; sondern für jedes Land, wo Unruhe gegen Autokraten aufkeimt.