)
Sollen auch ausländische Staatsbürger ihr Lebensumfeld mitbestimmen dürfen?
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. Die Bevölkerungszahl Österreichs wächst, wahlberechtigt sind tendenziell aber immer weniger Menschen. Denn wer in Österreich lebt, aber kein österreichischer Staatsangehöriger ist, darf bei Landtags- und Nationalratswahlen weder wählen noch kandidieren. "Es ist problematisch, dass immer mehr Einwohner von Wahlen ausgeschlossen sind", sagt Alexander Pollak, Sprecher von SOS Mitmensch.
Ein "demokratiepolitisches Problem" ortet Christian Holzhacker, Pädagogischer Bereichsleiter im Verein Wiener Jugendzentren: "Die Legitimität der gewählten Politiker geht verloren, wenn immer mehr Einwohner keine Möglichkeit haben, ihre politische Vertretung zu wählen. Politische Teilhabe darf nicht zu einem Exklusivrecht einer immer kleineren Gruppe werden." Im Sinne einer Integration sollte man Zuwanderern nicht nur Pflichten, sondern auch Rechte geben. "In einer globalen Gesellschaft ist Mobilität zum Alltag geworden, beim Wahlrecht ist das System aber starr", kritisiert Holzhacker.
Politologe Peter Filzmaier spricht sich für eine "sachliche Debatte ohne Tabus" zum Wahlrecht für Ausländer aus: "Wer hier lebt, ist von den Entscheidungen der Politik betroffen."
"Wahlrecht von Staatsbürgerschaft lösen"
Am höchsten ist der Anteil der Einwohner, die nicht wählen gehen dürfen, in Wien, wo am 11. Oktober der Gemeinderat gewählt wird. Jeder vierte Wiener ist ausländischer Staatsbürger. Rund 320.000 Wiener über 16 Jahre leben laut dem Verein Wiener Jugendzentren teilweise schon jahrelang in Österreich, haben aber kein Wahlrecht auf Landes- und Bundesebene. Die Zahl jener, die nicht wählen dürfen, wird aufgrund von Zuwanderung weiter steigen. Von 2014 bis 2030 wird Wiens Bevölkerungszahl um 17,6 Prozent (durch Zuwanderung und Zuzug vom Land) wachsen.
Auch bei den Landtagswahlen in der Steiermark am 31. Mai gab es weniger Wahlberechtigte als bei den Landtagswahlen im Oktober 2010, während die Zahl der Wohnbevölkerung (aufgrund von ausländischen Staatsangehörigen) seit 2011 gestiegen ist.
Sollen auch ausländische Staatsbürger wählen dürfen, müssten die Kriterien für das Wahlrecht sorgsam diskutiert werden, betont Filzmaier. Der Politologe plädiert dafür, das Wahlrecht von der Staatsbürgerschaft zu lösen und an einen jahrelangen Hauptwohnsitz in Österreich zu knüpfen.
Holzhacker schlägt vor, dass Staatsangehörige aus EU-Ländern und außerhalb der EU nach zwei bis drei Jahren Wohnsitz im Land in Wien wählen dürfen. Alternativ könnte der Zugang zur Staatsbürgerschaft erleichtert werden. Auch SOS Mitmensch setzt sich für ein Wahlrecht nach ein paar Jahren Aufenthaltsdauer ein und kritisiert "strenge Einbürgerungsbestimmungen" in Österreich. Die Organisation wird im Vorfeld der Wiener Wahl eine "Pass Egal-Wahl" organisieren, an der Wahlberechtigte und nicht Wahlberechtigte teilnehmen können.
SPÖ könnteStimmenanteile gewinnen
Welche Parteien durch ein Ausländerwahlrecht Stimmenanteile gewinnen und verlieren würden, darüber gehen die Meinungen der Experten auseinander. Bei der Wiener Gemeinderatswahl 2010 gaben Migranten (selbst oder mindestens ein Elternteil im Ausland geboren) überdurchschnittlich oft der SPÖ ihre Stimme, wie eine Sora-Wahltagsbefragung ergeben hat. Bei der Nationalratswahl 2013 schnitt in dieser Gruppe ebenfalls die SPÖ überdurchschnittlich stark ab, ÖVP und FPÖ dagegen schwächer.
"Klassische Einwanderer, die als Arbeiter nach Österreich kamen, etwa aus der Türkei oder Ex-Jugoslawien, wählen überdurchschnittlich SPÖ", sagt Florian Oberhuber von Sora. Außerdem könne man davon ausgehen, dass Moslems eher SPÖ wählen, weil die FPÖ diese als Feindbild darstelle und die ÖVP sich als christlich verstehe. Die Grünen wiederum seien unter Wählergruppen mit höherer formaler Bildung und unter Jungen überdurchschnittlich erfolgreich, so Oberhuber. Darunter fallen laut Sora Einwanderer aus Deutschland (die die größte Gruppe der Zuwanderer stellen), aber auch aus anderen EU-Staaten, etwa aus den östlichen Nachbarländern.
Das Wählerpotenzial der Grünen unter Deutschen in Österreich werde überschätzt, meint hingegen Filzmaier. Ein Wahlrecht für Ausländer würde tendenziell den Mehrheitsparteien nützen. Zudem gebe es unter Migranten auch Gruppen wie die Serben, bei denen die FPÖ überdurchschnittlich stark abschneide.
Weltweit dürfen Ausländer nur in wenigen Ländern wählen
Damit ausländische Staatsbürger auf kommunaler und Bundesebene wahlberechtigt sind, müsste die Verfassung geändert werden. Die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament ist aber derzeit nicht annähernd in Sicht, so Filzmaier. Für eine - schrittweise - Ausweitung des Wahlrechts für ausländische Staatsangehörige setzen sich die Grünen ein, auch die Neos fordern ein wohnsitzbezogenes Wahlrecht. Bundes-SPÖ, ÖVP und FPÖ möchten keine Änderung, ebenso wie das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres: "Jeder kann - wenn er die Voraussetzungen erfüllt - das hohe Gut der österreichischen Staatsbürger erwerben. Dann hat er auch das Wahlrecht in Österreich."
Der Wiener Vorstoß für das Ausländerwahlrecht wurde 2004 vom Verfassungsgerichtshof gekippt. Die Höchstrichter verwiesen auf den ersten Artikel des Bundesverfassungsgesetzes: "Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus." Der Begriff des Volkes knüpfe an die österreichische Staatsbürgerschaft an. Eine Ausnahme gilt aufgrund gemeinschaftsrechtlicher Regelungen für EU-Bürger mit Wohnsitz in Österreich - sie dürfen an den Gemeinderatswahlen in den Bundesländern und an Bezirksvertretungswahlen in Wien teilnehmen.
Ausländer dürfen weltweit nur in wenigen Ländern wie Neuseeland, Malawi, Chile und Uruguay wählen. Zuletzt haben die Luxemburger in einem Referendum ein Ausländerwahlrecht abgelehnt. Abgestimmt haben Luxemburger Staatsbürger - in einem Land, wo 45 Prozent der Einwohner Ausländer sind.