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Ausländer, im Wald allein gelassen

Von WZ-Korrespondentin Alexandra Klausmann

Europaarchiv

Anwalt: "Größter dokumentierter Fall von Menschenhandel innerhalb der EU." | Behörden zeigen wenig Interesse, diese Vorgänge aufzuarbeiten. | Prag. "Das Schlimmste an der ganzen Sache ist", sagt Herr Tuan, "dass ich mir den Westen niemals so vorgestellt hätte. Ich dachte, wo Demokratie und Freiheit herrschen, werden Leute mit Respekt behandelt und Arbeit bezahlt. Aber die Freiheit, die hier herrscht, ist die Freiheit, andere zu betrügen."


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Herr Tuan sitzt in einem Restaurant im Prager "Klein Hanoi". Draußen scheint die Frühlingssonne auf einen farbenprächtigen Umzug von Vietnamesen aus der Provinz Phu Tho, aus der auch Herr Tuan stammt. Doch weder die Sonnenstrahlen noch die bunten Kostüme seiner Heimat scheinen ihm Freude zu bereiten. Während sein starker, schwarzer vietnamesischer Kaffee langsam in die Kondensmilch tropft, die in einem Glas vor ihm steht, schaut Herr Tuan traurig auf den Boden. Als würde er sich für seine Illusionen schämen.

Die Scham fällt nicht auf Herrn Tuan: Mitten in Europa, in einer Union, die sich freiheitlich-demokratischen Traditionen verpflichtet sieht, wurde Herr Tuan im Auftrag des Staates betrogen, belogen und ausgebeutet. Mit ihm noch rund 1500 weitere Arbeiter aus fernen Ländern wie Vietnam oder der Mongolei, aber auch aus EU-Staaten wie der Slowakei oder Rumänien. Sie wurden gelockt, von findigen Subunternehmen der staatlichen Firma Lesy CR, der das Monopol über die tschechischen Wälder obliegt.

Keiner sieht den versprochenen Lohn

Der Trick ist immer der gleiche: Arbeitswillige Ausländer werden von den Subunternehmern zu Aufforstungsarbeiten in den staatlichen Wäldern angeheuert. Den versprochenen Lohn und die Verpflegung sehen sie nie.

Für Waldarbeiten engagiert Lesy CR Subunternehmer, die der staatlichen Firma Baumbestände abkaufen und sich vertraglich verpflichten, die gerodeten Waldstücke wieder aufzuforsten. Die Baumpreise sind dabei, je nach Art und Dicke des Baumes, vorgegeben. "Der Preis der Arbeit ist aber flexibel. Und da sind einige darauf gekommen, dass sie am besten verdienen, wenn sie für die Arbeit gar nichts bezahlen", sagt Stanislav Beranek von "Transparency International" in Prag. Das ist das hässliche Gesicht der Forstmafia, die Tschechiens Wälder in der Hand hat. "Zehn Firmen haben 81 Prozent der öffentlichen Ausschreibungen von Lesy CR", erklärt Beranek.

Die größte unter ihnen, die Holding Less a.s., gehört Jan Micanek, einem Ex-Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums, der in den 1990er Jahren seine eigene Wende vom sozialistischen Bürokraten zum tschechischen Waldkönig vollzog. Das Holz, das die Less a.s. in Tschechien schlägt, verkauft sie auch nach Deutschland und Österreich. Die lästigen Aufforstarbeiten überlässt Less a.s. - Firmencredo: "Der wichtigste Teil der Umwelt ist die Anständigkeit des Menschen" - Ausbeuterfirmen mit klangvollen Namen wie Affumicata, hinter der sich ein Ex-Polizist und ein verurteilter Betrüger verstecken.

Von all dem weiß Herr Tuan nichts, als er sich im Februar 2009 von Phu Tho nach Prag aufmacht, um es seinen Landsleuten nachzumachen, die es in Tschechien geschafft haben. Die in Fabriken anfingen und es dann, über einen kleinen Stand auf Märkten oder vor Bahnhöfen, zu einem eigenen kleinen Laden brachten. Auch ohne Sprachkenntnisse. Die ihre Kinder aufs Gymnasium oder an die Universität schicken.

Herr Tuang hat zwei Kinder an der Universität in Hanoi. "Es ist nicht leicht, seine Kinder bei ihrem Studium finanziell zu unterstützen, deshalb kam ich her", sagt er. Doch dann kommt die Krise, und es gibt nicht mal mehr in den Fabriken Arbeit, die noch wenige Monate zuvor händeringend Leute suchten. Die Arbeit in den Wäldern, das Setzen von Bäumen, ist zwar hart. Aber die Herren von Affumicata, die in einem vollen Saal im Prager "Klein Hanoi" mit Hilfe von Dolmetschern Löhne zwischen 800 und 1300 Euro pro Monat, Unterkunft und Verpflegung dreimal täglich versprechen, wirken seriös und vertrauensvoll.

Als der Sack Reis leer ist, kommt der Hunger

Kurz nach Vertragsunterzeichnung wird Herr Tuan nach Nordböhmen gebracht. Zusammen mit rund 80 weiteren Vietnamesen und 40 Rumänen soll er am Fuße des Erzgebirges Bäumlinge setzen. "In den ersten Wochen bekam jeder von uns umgerechnet 20 Euro, zwei Hühner und einen Sack Reis", erzählt Herr Tuan. Einen Monat lang setzt er dort Bäume, 300 bis 400 täglich, sieben Tage die Woche.

"Wenn wir bei starkem Regen ins Wohnheim zurück wollten, jagten uns die Aufseher zurück in den Wald", sagt er. Von dem versprochenen Geld sehen die Arbeiter keinen Cent. Als der Sack Reis leer ist, kommt der Hunger. "Wir haben uns von Pflanzen, die wir kannten, ernährt. Im Wohnheim buken wir uns Fladen aus Wasser und Mehl." Den Vertrag, laut dem ihm Verpflegung zustehen sollte, hat Herr Tuan erst übersetzen lassen, nachdem er zwei Monate später, unbezahlt und hungrig, aus dem Wald abgehauen war. Was ihm als Arbeitsvertrag untergejubelt worden war, war ein Ausbildungsvertrag, laut dem er fürs Bäumepflanzen sogar umgerechnet 20 Euro pro Monat an Affumicata hätte zahlen müssen.

"Was da in den tschechischen Wäldern passiert, ist der größte dokumentierte Fall von Menschenhandel innerhalb der EU", schimpft der Anwalt Matous Jira, der sich des Falls der Baumpflanzer angenommen hat. In seinem Büro hoch über den Dächern der Prager Altstadt hat er hunderte Aussagen gesammelt, von den Opfern selbst und auch von anderen, die von Ausbeuterfirmen geneppt wurden - die Dolmetscher aus "Klein Hanoi" zum Beispiel oder die Vermieter der Wohnheime. "Aber der Staat zeigt kein Interesse, sich dieses erschreckenden Falles anzunehmen", schimpft Jira und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen.

Zusammen mit seiner Kollegin Stepanka Mikova hat er im Namen der Opfer Strafanzeige gestellt, wegen Betrugs, Menschenhandels und Teilnahme an einer kriminellen Vereinigung. "Von den mehr als hundert Zeugen hat die Polizei gerade einmal drei verhört", sagt Jira. "Na ja, wenn die Polizei schon ankündigt, kein Fahrgeld zurückzuerstatten, überlegen sich manche die Fahrt nach Prag wieder", fügt er hinzu.

Tiefere Gründe für das Desinteresse sieht Jira allerdings nicht. "Ich glaube einfach, Staatsanwaltschaft und Polizei haben keine Lust, diesen Fall von Ausbeutung und Menschenhandel zu untersuchen. Die kriegen doch die Krise allein bei dem Gedanken, hunderte Vietnamesen, die kein Tschechisch können, verhören zu müssen." Die zuständigen Ministerien schieben einander gegenseitig den Schwarzen Peter zu oder weisen einfach jede Verantwortung von sich. Die "Interressortkommission zum Kampf gegen den Menschenhandel", aus EU-Geldern finanziert, weiß seit zwei Jahren, was in Böhmens Hain geschieht. Jira selbst hat es dort vorgetragen.

Ministerium sieht sich nicht verantwortlich

"Da müssen sie sich direkt an Lesy CZ wenden, wir haben damit nichts zu tun", erklärt eine Sprecherin des Landwirtschaftsministeriums im Brustton der Empörung. Die Tatsache, dass dem Landwirtschaftsministerium die Aufsicht über die staatliche Firma zusteht und es, sozusagen als Firmengründer, einen Ministerialrat im Aufsichtsrat hat, tut da offensichtlich nichts zur Sache. "Die Arbeiter arbeiten zwar in den staatlichen Wäldern, sind aber Angestellte einer anderen Firma, die für ihre Arbeitsbedingungen voll verantwortlich ist", heißt es in einer Stellungnahme von Lesy CR. Andere Firmen, die allerdings Aufträge von Lesy CR erfüllen. Aber auch dafür hat die Staatsfirma eine Antwort: "Falls der Vertragspartner seine Verpflichtungen gegenüber Lesy CR ordentlich erfüllt, kann Lesy CR die Zusammenarbeit nicht beenden."

So einfach wollen Jira und Mikova es dem Staat nicht machen. Mehr oder weniger haben sie sich damit abgefunden, sich durch sämtliche Instanzen kämpfen zu müssen. Bis sie dann endlich vor dem Europäischen Gerichtshof in Straßburg klagen können. "Würde der zu dem Schluss kommen, dass Opfer von Menschenhandel in Tschechien nicht genug geschützt werden, dann wäre das eine internationale Schande für unseren Staat. Und ich verstehe nicht, wie der Staat so dumm sein kann, sich vor solch einer Schande nicht zu schützen", sagt Mikova.

Erneut werden Arbeiter angeworben

Eine Schande, die weiter zu gedeihen scheint. Gerade jetzt, da die Saison wieder beginnt, werben die Hintermänner von Affumicata, die sich inzwischen CE Woods oder Wood Servis nennt, Waldarbeiter in Rumänien an. "Aber nicht in meiner Stadt, hier habe ich dafür gesorgt, dass jeder weiß, was für Praktiken da abgehen", sagt George.

Seit sechs Jahren reist der 24-Jährige durch die Welt, um kurzfristige und ungelernte Arbeiten zu erledigen. Als George den Vertrag sieht, der ihm erst nach mehrmaligem Drängen in seiner Sprache vorgelegt wird, hat er schon zwei Wochen lang im tiefsten Böhmerwald Bäume gepflanzt. "In dem Vertrag wurden nur Vertragsstrafen geregelt. Von Lohn und Verpflegung war keine Rede", erzählt er. Zusammen mit 22 Kollegen, die wie er auf eine Zeitungsannonce hin aus Rumänien nach Tschechien gekommen waren, weigert er sich, den Vertrag zu unterschreiben.

Am nächsten Tag sind die beiden Affumicata-Vertreter spurlos verschwunden. Ohne die Zeche für das Wohnheim zu bezahlen. "Die ließen uns einfach im Wald. Ohne Geld, ohne Essen", zürnt George, der mit seinen Kollegen das Wohnheim von der einen auf die andere Minute verlassen musste.

Drei Tage lang dauerte die 200 Kilometer Odyssee der Rumänen nach Prag. Im südböhmischen Tabor wurden sie im Zuge einer Polizeiaktion auf dem Bahnhof festgehalten. "Die dachten, wir wären illegale Einwanderer", sagt der EU-Bürger George. Und gibt zu: "Da hatte ich Angst. Ich war in einem fremden Land, tagelang unterwegs, ungewaschen, hungrig und müde. Und dann kommen Polizisten mit Hunden und behandeln mich wie einen Verbrecher. Ohne zu sagen, was ich verbrochen haben soll", erinnert er sich.

Inzwischen ist George wieder in Rumänien und packt gerade seine Koffer. In zwei Wochen geht es für ihn nach England auf den Bau. Nach Tschechien will George trotz seiner Erfahrungen gerne wieder kommen: "Aber nur noch als Tourist."