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"Ausländertatbestand" im Strafgesetzbuch

Von Matthias G. Bernold

Wirtschaft

Dass sich eine Experten-kommission mit dem Verhältnis der Strafrahmen befassen soll, verwundert SPÖ-Justizsprecher Hannes Jarolim. Im Interview bezieht der Politiker und Rechtsanwalt Stellung zu den Vorkommnissen in der Justizanstalt Josefstadt und erklärt, wieso die Deliktsqualifikation der Gewerbsmäßigkeit zum "Ausländertatbestand" verkommt.


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"Wiener Zeitung": Die Vergewaltigung eines 14-Jährigen in der Justizanstalt Josefstadt sorgte für Empörung. Ist man gegen solche Ereignisse im Gefängnis machtlos oder hat die Politik versagt?

Jarolim: Die Politik hat eindeutig versagt. Leider hat sich bewahrheitet, was wir bei der Zerschlagung des Jugendgerichtshofs Wien und der dazugehörigen Justizanstalt (JA) Erdberg befürchtet haben: Dass eine adäquate Unterbringung von Jugendlichen in der Josefstadt nicht gewährleistet ist. Anders als die Josefstadt war Erdberg ein offenes Gefängnis, wo die jungen Häftlinge jeweils zu zweit und nur zum Schlafen in ihre Zellen mussten. Vier Jugendliche im kritischen Alter zusammenzusperren, ist an sich ein Problem.

"Wiener Zeitung":Abgesehen von der Haftsituation: Ist das Problem nicht ein grundsätzlicheres? Wie kann es sein, dass ein 14-Jähriger im Gefängnis landet?

Jarolim: Es besteht kein Zweifel, dass es Fälle gibt, wo wir auch einen Jugendlichen kurz in Verwahrung nehmen müssen. Allerdings sollte man alle gelinderen Mittel ausschöpfen. Wenn ein 14-Jähriger eine Flasche Sekt und eine Zahnbürste stielt, ist das sicher kein Grund für eine Inhaftierung. Meines Erachtens sollte die U-Haft bei Jugendlichen auf Fälle beschränkt werden, wo ein Gefährdungspotential für Leben und Gesundheit anderer Personen besteht.

"Wiener Zeitung":Wir verzeichnen Rekordzahlen bei den Häftlingen infolge von Zuwächsen bei Drogendelikten und gewerbsmäßig begangenen Vermögensdelikten. Was lässt sich gegen diese Entwicklung unternehmen?

Jarolim: Die jetzige Situation ist mit eine Folge völlig falscher Prioritätensetzung. Hier wird noch immer auf Generalprävention gesetzt. Die Deliktsqualifikation der Gewerbsmäßigen Begehung (§70 Strafgesetzbuch. Anm.) wurde in der Praxis zu einem Ausländertatbestand umfunktioniert. Wenn heute ein Ausländer ein Vermögensdelikt begeht, wird von den Staatsanwälten eigentlich a priori angenommen, er stehle, um sich damit eine fortlaufende Einnahmequelle zu verschaffen. Indem dieser Ausnahmetatbestand zum Regelfall wird, erhöht sich auch die Zahl der verhängten Freiheitsstrafen.

"Wiener Zeitung":ÖVP-Justizsprecherin Maria Fekter hat Anfang des Sommers mit einigen interessanten Vorschlägen aufhorchen lassen: U.a. Teilzeit-Haft, mehr gemeinnützige Leistungen. Ein zielführender Weg?

Jarolim: Alternativen zur Haft sind grundsätzlich zu begrüßen. Natürlich müssen wir uns vor Augen halten, dass dieser Anflug von scheinbar liberalen Ideen sich aus einer Zwangssituation heraus entwickelt hat. Weil die Regierung feststellen musste, dass die Law and Order-Politik mehr Häftlinge bringt und dadurch auch die Kosten explodieren.

"Wiener Zeitung":Im Herbst gibt es einen neuen Anlauf, die StPO-Vorverfahrensreform zu beschließen. Der aktuelle SPÖ-Standpunkt?

Jarolim: Grundsätzlich befürworten wir die Idee, den Staatsanwalt aufzuwerten. Ein Blick nach Deutschland, wo ein ähnliches Modell realisiert wurde, zeigt allerdings, dass dafür ein ganz anderer Personalaufwand notwendig ist, als derzeit vorgesehen. Es ist absurd: Einerseits wird die Justiz personell ausgehungert, andererseits wird Geld vernichtet. Nehmen wir die Schließung des Gerichtsgebäudes Riemergasse und den Umzug in den neuen Justiztower. In den nächsten 30 Jahren bedeutet das einen Mehraufwand von 30 Mill. Euro.

"Wiener Zeitung":Zurück zur StPO-Reform.

Jarolim: Ein Problem beim jetzigen Entwurf ist, dass die Exekutive zu viele Rechte bekommt. Die Polizei kann den Staatsanwalt - etwa durch überzogene Begründungspflichten - in seiner Arbeit behindern. Auch unsere Forderung nach einer neuen Weisungsspitze in Form eines dem Parlament verantwortlichen Bundesanwalts bleibt aufrecht.

"Wiener Zeitung":Wie beurteilen Sie die jetzt eingesetzte Expertenkommission zur Prüfung der Diversion und der Strafrahmen?

Jarolim: Dieses Vorhaben ist eine völlig überflüssige, kaum nachvollziehbare Maßnahme und kann meines Erachtens nur bedeuten, dass die Ergebnisse der mit hochkarätigen Experten besetzten Enquetekommission in Frage gestellt werden sollen. Die Enquetekommission hat zur Diversion bereits ausführliche Ergebnisse geliefert. Die jetzige Vorgehensweise ist eine Fleißaufgabe, durch die ausgezeichnete Experten der Enquetekommission im Nachhinein desavuiert werden.

Das Gespräch führte Matthias G. Bernold