Zum Hauptinhalt springen

Ausländische Geldgeber gesucht

Von Urs Fitze

Politik

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 22 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Minenwarnschilder säumen die Strasse von Sarajevo nach dem Vorort Vogosca. Ruinen erinnern daran, dass hier von 1992 bis 1995 eine der zahllosen Frontlinien des Bürgerkriegs lag. In Sichtweite der Front lag das VW-Werk Vogosca. Mehrere Dutzend eingezogene Arbeiter verloren auf beiden Seiten der Kriegsparteien in den Kämpfen ihr Leben. Das Werk selbst blieb unzerstört, wurde aber 1996 von abziehenden serbischen Einheiten demontiert und vermint. Seit 1998 werden hier wieder 100 Skodas täglich von 57 Mitarbeitern montiert. Das ist nur noch ein Abklatsch einstiger Größe, als 3500 Arbeiter die VW-Modelle Gold und Caddy zusammenbauten. Das Joint-Venture zwischen VW und der Staatsholding Unis bestand seit 1972 und war für beide Vertragsparteien ein einträgliches Geschäft. VW lieferte die Bauteile, als Gegengeschäft erhielt der deutsche Konzern aus Jugoslawien Zulieferteile. Der Golf avancierte zum gefragtesten Auto auf dem durch hohe Zölle abgeschotteten jugoslawischen Markt.

35.000 Autos jährlich

Nun soll der alte Glanz nach Vogosca zurückkehren: "Wir möchten hier mittelfristig 35'000 Autos jährlich bauen und damit den ganzen Markt im ehemaligen Jugoslawien bedienen", sagt Nihad Imamovic von der slowenischen ASA Holding. Der ehemalige VW-Mitarbeiter in Vogosca schwor sich 1996 beim Anblick des zerstörten Werkes, hier wieder eine Produktion hochzufahren.

Fünf Jahre sollten vergehen, bis sein Traum in Erfüllung ging. Sein heutiger Arbeitgeber hat den 42 % - Anteil der staatlichen Unis-Holding am Joint Venture mit VW übernommen. Imamovic hat grosse Pläne. Ca. 10 Millionen Euro sollen bis Ende 2002 in Vogosca investiert werden. Für VW sollen im Gegenzug für die in Baugruppen angelieferten Skodas Zubehörteile gebaut werden. "Wir haben uns verpflichtet, sämtliche Gewinne in den kommenden fünf Jahren zu reinvestieren", unterstreicht Imamovic die Ernsthaftigkeit seines Vorhabens.

Bei VW Sarajevo gibt sich Direktor Klaus-Dieter Steinbach weniger euphorisch. Erfolgsversprechende Nischen sieht er weniger in der im internationalen Vergleich zu teuren Automontage, sondern eher bei bestimmten Motoren, die wegen geringerer Stückzahlen für die Produktion in den supermodernen Fabriken in Deutschland und Tschechien ungeeignet sind.

Die neue Ehe zwischen VW und der ASA Holding ist einer der raren Erfolge der Privatisierung von 138 als strategisch bedeutsam eingestuften Staatsbetrieben in Bosnien-Herzegowina. Mit der Entstaatlichung dieser Betriebe, 86 auf dem Gebiet des bosnisch-kroatischen Föderation und 52 in der bosnisch-serbischen Republik, soll die Wirtschaft einen entscheidenden Impuls und vor allem Auslandskapital erhalten. Bezogen auf ihre wirtschaftliche Leistung vor dem Krieg repräsentieren die 138 Betriebe über die Hälfte der bosnischen Wirtschaftskraft. Für jedes zu privatisierende Unternehmen wird eine dreiköpfige "Tender Commission" gebildet. Ihr gehören zwei Behördenvertreter und ein internationaler Experte an, nicht aber jemand aus dem Management der Firma. Das soll Interessenskonflikten vorbeugen. Die internationalen Berater werden von der us-amerikanischen Entwicklungsagentur USAID, der deutschen "Gesellschaft für technische Zusammenarbeit" (GTZ) und der Europäischen Union gestellt.

Kehrtwende

Die Anfang 2000 eingeleitete direkte Einladung an Investoren ist ein radikaler Politikwechsel in Bosnien-Herzegowina, nachdem sich gezeigt hatte, dass mit der bislang praktizierten Voucher-Privatisierung kaum Geld aufzutreiben war. Die Abgabe von Beteiligungs-Coupons an die Bevölkerung war zum Papiertiger mutiert: Die nominalen Werte erwiesen sich im nur schwach entwickelten Wertpapier-Handel rasch als völlig überzogen. Nach drei Jahren Krieg war auf den Sparbüchern der bosnisch-herzegowinischen Bevölkerung nichts mehr übrig geblieben. Ausländische Investoren zeigten kein Interesse, in Betriebe einzusteigen, die sie nicht mehrheitlich kontrollieren konnten. Es war eine schmerzliche Einsicht nicht nur für die bosnische Politik, die sich lange der Illusion hingegeben hatte, dass nationale Konzepte in der Wirtschaftspolitik Früchte tragen könnten. Auch die internationalen Donatoren hatten in den ersten Nachkriegsjahren die Voucher-Privatisierung favorisiert, in der Hoffnung, das zerrissene Land mit "volkskapitalistischen" Rezepten stabilisieren zu können. Die Antwort des Marktes war unmissverständlich: Die Wirtschaft von Bosnien-Herzegowina ist nach einer kurzen, durch den Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur und von Tausenden Häusern bedingten Nachkriegseuphorie nun am Tiefpunkt angelangt. Ganze Regionen stehen heute vor allem auf dem Gebiet der bosnisch-serbischen Republik praktisch still. Die über fünf Milliarden US-Dollar, die seit 1995 aus den Kassen der internationalen Gemeinschaft nach Bosnien-Herzegowina geflossen sind, hatten für die Wirtschaft des Landes praktisch keine Bedeutung.

Dabei sollte aber nicht übersehen werden, dass die Erfolge durchaus beträchtlich sind: Die meisten Menschen in Bosnien-Herzegowina haben heute wieder ein Dach über dem Kopf, was angesichts der schweren Kriegszerstörungen einem kleinen Wunder gleichkommt. Doch jetzt ist es höchste Zeit, dass das Land auch wirtschaftlich wieder Boden unter den Füssen bekommt. Das wird, wie die negativen Erfahrungen der Voucher-Privatisierung zeigen, nicht ohne ausländisches Kapital zu machen sein.