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Ausnahmezustand in Griechenland

Politik

Nach der Öffnung der türkischen Grenze zu Griechenland versuchen tausende Menschen, zu Fuß oder per Boot in die EU zu gelangen.


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Lesbos/Kastanies. Als die Flüchtlinge mit ihrem kleinen Schlauchboot auf der griechischen Insel Lesbos landen wollen, erwartet sie ein wütender Mob. "Geht zurück in die Türkei", rufen Einheimische, es dürften etwa hundert sein, den Männern, Frauen und Kindern entgegen, bewerfen sie mit Gegenständen und stoßen das Boot immer wieder zurück aufs Meer. Als es Stunden später an einem anderen Hafen anlegt, warten mit Knüppeln bewaffnete Menschen, zwei Journalisten werden verprügelt, die Kameras eines Fotografen ins Wasser geworfen. Der Mob errichtet Straßensperren und geht auch auf NGO-Mitarbeiter los. Die Polizei ist nicht in Sicht, offenbar haben die Behörden die Kontrolle über die Situation längst verloren.

Seit die Türkei ihre Grenzen für Flüchtlinge geöffnet hat, kommen wieder deutlich mehr Menschen über das Mittelmeer nach Griechenland. Am Montag gab es vor Lesbos das erste Todesopfer, seit die Türkei Flüchtlinge an ihren Küsten nicht mehr aufhält: Ein Kleinkind starb, als ein Flüchtlingsboot kenterte. Insgesamt kamen von Sonntag bis Montag mindestens 1000 Asylsuchende auf den ägäischen Inseln an. Zuvor waren es heuer 100 gewesen.

Die griechischen Inseln sind seit Jahren überfordert mit der Versorgung der Menschen: Rund 40.000 Asylsuchende leben mittlerweile auf Samos, Leros, Chios, Kos und Lesbos. Allein im Flüchtlingslager Moria auf Lesbos sind 20.000 Menschen untergebracht, gebaut wurde es für gerade einmal 3000 Personen. Bereits vergangenen Woche hatten hunderte Bewohner von Lesbos gegen den Bau neuer Flüchtlingslager protestiert. Sie sagen, ihre Insel sei jetzt schon überlastet, und werfen der EU vor, sie mit dem Problem allein zu lassen. Doch nie zuvor ist die Situation dermaßen eskaliert.

"Wir haben die Tore geöffnet" - mit diesen Worten verkündete der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan vergangene Woche, dass die Türkei keine Flüchtlinge mehr auf ihrem Weg in die EU aufhalten wird. Wenig später machten sich zahlreiche Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien und Asylsuchende aus anderen Staaten an die Landgrenze zu Griechenland auf - und stießen auf eine Barriere aus Stacheldraht und griechischen Sicherheitskräften. Letztere trieben rund 9600 Menschen beim Grenzübergang Kastanies mit Tränengas und Warnschüssen zurück. Unterstützt werden sollen die Sicherheitskräfte nun durch Frontex. Die EU-Grenzschutzagentur kann binnen fünf Tagen bis zu 1500 Grenzschützer bereitstellen.

Premier Kyriakos Mitsotakis verkündete am Montag, Griechenland werde ab sofort für ein Monat keine Asylanträge mehr akzeptieren. Migranten, die illegal ins Land kommen, will er wenn möglich wieder in ihre Herkunftsländer zurückschicken. Damit verletzt Griechenland die Genfer Flüchtlingskonvention und das Asylrecht in der EU.

Aus Athen heißt es, der Flüchtlingsstrom sei von der Türkei koordiniert und inszeniert. Es handele sich um eine "aktive, ernste, schwere und asymmetrische Bedrohung der nationalen Sicherheit des Landes", so Regierungssprecher Stelios Petsas.

Auf Lesbos gefährdet vor allem der rechtsradikale Mob die Sicherheit. Dieser blockierte auch am Montag Straßen, um Flüchtlinge an der Weiterreise in Auffanglager zu hindern. Am Abend zuvor hatten Radikale ein Willkommenszentrum der UNO angezündet. Verletzt wurde niemand - die Einrichtung war Ende Jänner geschlossen worden.(ag/sig)