US-Präsident Barack Obama hat mit seinem überraschenden Video-Neujahrsgruß an die Iraner den 30-jährigen Austausch von Gehässigkeiten zwischen beiden Staaten unterbrochen. Geantwortet hat protokollarisch ebenso überraschend nicht Präsident Mahmoud Ahmadinejad, sondern Irans oberster Führer Ayatollah Khamenei: Falls die USA ihre "Ziele und nicht nur die Taktik" in Nahost ändern, wäre der Iran zu Gleichem bereit.
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Naturgemäß bekräftigten beide ihre unvereinbaren Ziele. Obama: Der Iran müsse Terrorismus und Streben nach Atomwaffen entsagen. Khamenei: Die USA müssten die "blinde Unterstützung" Israels aufgeben und dessen Arsenal an Atomwaffen, das Israel zur "Wurzel des Terrors" mache, beseitigen.
In einem wohlweislich verschwiegenen Punkt decken sich allerdings die Ziele beider Staaten: der Vernichtung der Taliban in Afghanistan. Dort hält die internationale Truppe unter US-Führung derzeit bestenfalls ihre wackelige Position, weil das chaotische Pakistan seine Rolle als "Basis" nicht erfüllt und hilflos zusehen muss, wie die Taliban im Nordwesten dieses Landes einen "Sonderstaat" nach dem Gesetz der Scharia einrichten. Der schiitische Iran wertet aber die fundamental sunnitischen Taliban als Todfeinde.
Strategisch überdeckt der Konflikt von Israel und USA mit der arabisch-islamischen Welt den langfristig gefährlichsten Konflikt in Nahost zwischen Sunniten gegen Schiiten oder - realpolitisch gesehen - den Erdölgiganten Iran und Saudi-Arabien. Beide setzen auf religiöse Trümpfe; der Iran auf das Modell eines islamischen Gottesstaates, die parasitäre Saudi-Monarchie auf die Rolle als Hüter der heiligen Stätte Mekka.
In diesem Geflecht von Konflikten instrumentalisiert der Iran die Palästinenser: Hisbollah und Hamas sind Hebel gegen Israel und nicht Stoßtrupp der "Araber". Nun aber wärmte Obama wieder die Theorie von zwei Staaten zwischen Jordan und Mittelmeer auf - eine Fata Morgana, solange rund 450.000 Israelis in 150 Siedlungen Israels strategisches Glacis auf der Westbank absichern.
"Theoretisch" lösbar wäre das Problem vielleicht durch einen israelisch-palästinensischen Mischstaat. Jede Palästina-Lösung hängt davon ab, wie viel Druck die USA auf Israel ausüben. Nutznießer wäre abermals der Iran als mittelfristig bestimmende Macht im islamisch-arabischen Nahen Osten. Das wiederum läuft auf eine Bedrohung der saudischen Autokratie hinaus - also den verschärften Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten.
Was der vorsichtige Kontakt zwischen USA und Iran bringt, könnte die anstehende Afghanistan-Konferenz zeigen. Der Kampf gegen die Taliban ist ja beider gemeinsames Ziel. Ist es also eine verwegene Vorstellung, dass die "westliche Basis" gegen die Taliban von Pakistan in den Iran übersiedelt? Im Geflecht der Konflikte zwischen Hindukusch und Mittelmeer wäre das eine veränderte Taktik bei gleichbleibendem Teilziel.
Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".