Belohnung für Geständnis ist niedrigeres Strafausmaß. | Experte warnt vor Nachteilen des US-Vorbilds. | Wien. An Amerikas Gerichten ist Alltag, was in Österreich bisher verboten ist: Vor einem Strafprozess schnapsen sich Staatsanwalt und Verteidiger den Inhalt der Anklage aus - und entscheiden damit letztlich darüber, welche Tat dem Angeklagten vorgeworfen wird. Wenn sich der Angeklagte zu dieser ausverhandelten Anklage dann auch noch bekennt, ist laut dem Wiener Strafrechtler Manfred Burgstaller alles klar: "Der Richter hinterfragt nichts", er müsse nur noch die Strafe festsetzen, der Fall ist erledigt.
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Das US-Justizsystem erspart sich dank dieser Abmachungen, genannt "PleaBargains", eine Menge Geld. Die Verfahren verursachen nur einen Bruchteil der Kosten, die sonst anfallen würden.
Diese Woche dachte Justizministerin Karin Gastinger (B) laut darüber nach, für solche Absprachen in Österreich eine rechtliche Grundlage zu schaffen. Sie sei für alles offen, was die Kosten der Verfahren senken könne. Auch die Justizsprecher der Parteien stehen einer derartigen Neuerung aufgeschlossen gegenüber. Hannes Jarolim etwa (S) glaubt, dass "Plea-Bargaining" vor allem im Bereich der Wirtschaftskriminalität sinnvoll wäre.
Im amerikanischen Strafprozess ist "Plea-Bargaining" ein Feilschen um die Anklage. Ob es zu einem Handel kommt, liegt im Ermessen des Staatsanwaltes.
Basar am Gericht
Burgstaller erläutert die Vorgangsweise an einem Beispiel: "Der Staatsanwalt geht zum Verteidiger und sagt ihm, dass er eine Anklage über Mordversuch erheben wird, der Verteidiger winkt ab." Daraufhin bietet der Staatsanwalt eine Anklage für absichtliche schwere Körperverletzung an, die mit geringerer Strafe bedroht ist. Der Verteidiger erklärt sich einverstanden und rät dem Beschuldigten, vor dem Richter sofort ein Geständnis abzulegen. Ganz unabhängig von den Fakten ist der Deal zwischen Anklage und Verteidigung freilich nicht: "Inwieweit der Staatsanwalt bereit ist, Zugeständnisse zu machen, kommt natürlich auf die Beweislage an", erläutert der Experte.
Durch das Geständnis kommt es zu einer sicheren Verurteilung. Die "Belohnung" für den Verteidiger und den Beschuldigten ist, dass durch das "leichtere" Delikt automatisch auch die Strafandrohung geringer wird. Wie weit der Richter den Strafrahmen ausschöpft, weiß der Angeklagte nicht: Verhandeln über den Urteilsspruch sei nicht einmal in den USA legal möglich, betont Burgstaller.
Falls "Plea-Bargaining" in Österreich eingeführt wird, würden zwei Prinzipien aufeinanderprallen: Das in Österreich geltende Legalitätsprinzip verpflichtet den Staatsanwalt, das Delikt anzuklagen, von dem er glaubt, dass es vorgefallen ist. Hingegen herrscht in Amerika das Opportunitätsprinzip. Burgstaller: "Der Staatsanwalt klagt eine Tat an, von der er glaubt, dass er damit am leichtesten durchkommt."
Die Vorteile des österreichischen Systems liegen für Burgstaller auf der Hand. Ein versierter und damit meist teurer Rechtsanwalt sei zwar wichtig. Das Verfahren hänge aber zu einem guten Teil vom Richter ab. Die Grundsätze der Prozessordnung gebieten diesem, aktiv an der Wahrheitsfindung mitzuwirken.
Das bedeutet unter anderem, dass die Beweise immer im Verfahren präsentiert werden müssen, auch wenn der Angeklagte sich bereits schuldig bekannt hat. Der Richter muss sich der objektiven Wahrheit so gut wie möglich annähern, um sich sein eigenes Bild zu machen und sein eigenes Urteil zu fällen.
Unsoziales System
Anders in Amerika. Der Experte spricht von einer "unsoziale Komponente": "In den USA hängt der Prozessausgang in viel höherem Ausmaß davon ab, welchen Verteidiger man sich leisten kann." Der Richter sei dort nur Prozessbeobachter, der am Ende des Verfahrens im Rahmen der Anklage über das Strafausmaß befindet.
Außerdem sieht Burgstaller die Gefahr, dass die Entscheidung von Staatsanwalt und Verteidiger "über den Kopf des Beschuldigten hinweg" gefällt wird. Formal muss sich zwar der Angeklagte selbst vor dem Richter verantworten, er sei nicht gezwungen, sich an den Deal zwischen Verteidiger und Staatsanwalt zu halten und ein Geständnis abzulegen. Aber sollte es sich um einen sozial schwachen oder ungebildeten Verdächtigen handeln, könne es durchaus sein, dass sich dieser dem Willen seines Pflichtverteidigers beugt und auf schuldig plädiert, um sich das Prozessrisiko zu ersparen - auch wenn er vielleicht gar nicht schuldig ist.