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Mit "Tartuffe" schuf Moliere vor fast 340 Jahren jene Symbolfigur doppelter Moral, die weltweit in keiner Gesellschaft fehlt. Aus gegebenem Anlass stiftete das Personenkomitee ermüdeter Medienkonsumenten einen nach ihm benannten Preis, der herausragende publizistische Arbeiten auszeichnen soll, die der Autorschaft des Tartuffe würdig wären. Der Preis ergeht in folgenden Kategorien:
1.Der Tartuffe in Gold für das blumigste Lamento über unpassende Privatphotos eines Politikers, für die den Paparazzis und ihren Agenturen von den Redaktionen hohe Summen bezahlt wurden.
2.Der Tartuffe in Gold für den moralinsauersten innenpolitischen Kommentar, der es sich zum Thema macht, dass ein Minister, dessen wogendes Privatleben in den Medien wiedergegeben wird, sofort rücktrittsreif sei. Besonders preiswürdig ist ein Kommentar, wenn gleichzeitig die eigentliche Begründung der Forderung verschwiegen wird, dass der Politiker nämlich seine Eskapaden nicht ebenso erfolgreich geheim gehalten hat wie Vorgänger seiner Zunft, von deren Eskapaden der/die AutorIn zwar wusste, nicht darüber schrieb, sie aber zu den fähigsten Köpfen des Landes erklärte.
3.Der Tartuffe in Gold für die besorgteste Politikerrede, die mit dem Balken im eigenen Auge über den Unmoral-Splitter des anderen gehalten wurde.
4.Der Tartuffe in Silber für die Qualitätszeitung, die das Beklagen des "Dammbruchs in der politischen Berichterstattung", der mit der Thematisierung der Jetset-Liaison des Finanzministers passiert ist, zum Anlass für die umfassendste Aufzählung der verschwiegenen Politiker-Affären der letzten 20 Jahre nimmt.
5.Der Tartuffe mit Blindenstock für den schäumendsten Wirtschaftskommentar, der die Tatsache, dass sich der Privatmann KHG statt mit einer mittellosen Aufsteigerin mit einer millionenschweren Erbin liiert, zum Beweis erklärt, dass der Finanzminister nicht rechnen kann.
Einsendeschluss: Als Stichtag gilt der Erscheinungstermin jenes Medienprodukts, das einen fundiert recherchierten fachlichen Kritikpunkt veröffentlicht.