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Aussichtslos dagegen?

Von Jan Michael Marchart

Politik

Kanzler Kern möchte das EU-Abkommen mit Kanada nachverhandeln. Dafür könnte der Rückenwind anderer Länder fehlen.


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Wien. Vizekanzler Reinhold Mitterlehner und sein deutsches Pendant Sigmar Gabriel (SPD) hatten in dieser Woche trotz ihrer unterschiedlichen Weltansichten einiges gemeinsam. Mehr jedenfalls als Kanzler Christian Kern mit seinem Koalitionspartner. Die beiden Wirtschaftsminister ihrer jeweiligen Länder führen Parteien, in denen es eine Skepsis gegenüber dem geplanten Freihandelsabkommen zwischen den USA und Europa (TTIP) gibt. Beide bezeichneten die Verhandlungen als gescheitert. Zuvor hatten beide das Abkommen unterstützt.

Sowohl Mitterlehner als auch Gabriel können sich einen Neustart der TTIP-Verhandlungen vorstellen, fürchten aber, dass sich die Gespräche auf den Ratifizierungsprozess des Abkommens mit Kanada (Ceta) negativ auswirken könnten. Diese Vereinbarung wird von beiden Politikern an sich goutiert. Kanzler Kern hingegen wehrt sich nicht nur gegen TTIP, sondern auch vehement gegen Ceta in der aktuellen Form.

"Kein populistischer Reflex"

Die Freihandelsabkommen mit ihren sperrigen Abkürzungen werden gerne in einen Topf geworfen. Das mag auch daran liegen, dass sie sich naturgemäß ähneln. Sowohl TTIP als auch Ceta sind Handels- und Investitionsabkommen, beide sollen demnach den Handel und Investitionen fördern. Die EU-Kommission verhandelt für die 28 Mitgliedstaaten mit den USA und Kanada jeweils getrennt die besagten Vereinbarungen. Ein eminenter Unterschied zwischen den beiden Abkommen ist, dass sie anders gelagert sind. Während die Verhandlungen zu TTIP andauern und noch nichts Konkretes vorliegt, soll das unterschriftsreife Ceta demnächst in den Ratifizierungsprozess kommen.

Kanzler Kern bekräftigte am Freitag seine Forderung nach einer Nachbesserung zum bereits ausverhandelten Abkommen zwischen der EU und Kanada. "Angesichts des Widerstands, der hier bisher formuliert worden ist, ist eine Unterzeichnung Österreichs, ohne dass wir uns vorher damit genau auseinandersetzen und es Punkt für Punkt abklopfen, aus meiner Sicht gar nicht möglich", so der Kanzler. Das sei "kein populistischer Reflex". Freihandel sei die Grundlage für den Wohlstand des Landes , aber die Globalisierung habe nicht nur Wohlstand, sondern auch klare Verlierer mit sich gebracht. Weiters dürfe es nicht zur Aushöhlung demokratischer Entscheidungsprozesse zugunsten global agierender Konzerne kommen.

Der in Ceta verankerte Investorenschutz sei schwierig zu verstehen, da es ordentliche Gerichtsbarkeit sowohl in Österreich als auch in Kanada mit hohen Standards gebe. Warum daneben eine neue Gerichtsbarkeit geschaffen werden soll, hält der Kanzler für fraglich. Zur Absicherung der sozialen und Umweltstandards gebe es ein klares Bekenntnis in Ceta, aber keinen ausreichenden Sanktionsmechanismus. Kern verwies darauf, dass auch Mitterlehner jüngst Probleme äußerte. Der ÖVP-Chef sagte gegenüber dem "Kurier" (Freitagsausgabe): "Wenn das Europäische Parlament zustimmt, tritt die vorläufige Anwendung von Ceta in Kraft. Wir fordern, dass dabei der Investitionsschutz und das Nachhaltigkeitskapitel ausgenommen wären."

Gegen Paris und Berlin

Kern ist sich bewusst, dass es in der Koalition unterschiedliche Auffassungen über Ceta gibt. Er habe aber keinen Zweifel, dass eine gemeinsame Regierungslinie erarbeitet werden könne, sagte er am Freitag. Bisweilen ist nicht ersichtlich, wie das Ceta-Abkommen noch nachverhandelt oder nachgebessert werden soll. Die EU-Kommission in Brüssel äußerte sich dazu bisher nicht, das Abkommen sei eine "gute Vereinbarung". Kern weiß um die Schwierigkeit seines Vorhabens, "weil das Fass möchte außer uns gesamthaft kaum jemand aufmachen". Mitterlehner hielt Nachverhandlungen gegenüber dem "Kurier" für ein "Ding der Unmöglichkeit".

Aus Frankreich und Deutschland, die vor Österreich den Abbruch der TTIP-Verhandlungen forderten, scheint diesmal kein Rückenwind zu kommen. Frankreichs Handelsstaatssekretär Matthias Fekl bezeichnete Ceta als "ein gutes Abkommen und quasi ein Anti-TTIP". Der Marktzugang für kleine Unternehmen oder die Regelungen für Schiedsgerichte wurden gelobt. Der deutsche Wirtschaftsminister Gabriel sieht Ceta gar als "Messlatte" für TTIP. Der ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament Othmar Karas sagt: "Die Sorgen und Ängste der Bürger wurden berücksichtigt." Auch in der heimischen Wirtschaft gibt es Zustimmung für das Abkommen mit Kanada, die Landwirtschaftkammer sieht gegenüber dem ORF-Radio Ö1 im Gegensatz zu TTIP die "gegenseitigen Standards" respektiert.

Kern möchte nun möglichst viele Teile des Abkommens in den nationalen Teil der Ratifizierung bringen. "Dann könnten wir wesentliche Teile mitbestimmen." Neben den EU-Gremien müssen auch die nationalen Parlamente in den EU-Ländern zustimmen. Diese Möglichkeit hatte die EU-Kommission nicht zuletzt aufgrund des Drucks von Österreich und Deutschland erwirkt. Am 14. September wird zum Ceta-Abkommen eine Enquete im Parlament stattfinden.