Zum Hauptinhalt springen

Aussitzen - das gesundheitspolitische Credo

Von Ernest G. Pichlbauer

Kommentare
Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.

Nichts ist älter als die Zeitung von gestern, nichts fürchten Politiker mehr als die Zeitung von morgen - und so geht es darum, bis übermorgen durchzutauchen!


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 13 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Wer erinnert sich an die Todesfälle, über die in einem vermutlich illegal unter Verschluss gehaltenen Qualitätsbericht zu lesen war - der aber durch das Enthüllungsbuch "Verschlusssache Medizin" (Langbein 2009) bekannt wurde? Niemand. Obwohl sich das Buch zigtausend Mal verkauft hat, damals alle Zeitungen voll waren und sogar im Fernsehen diskutiert wurde.

Die Konsequenzen? Der Prüfarzt, der diese Qualitätsmängel im Auftrag des Landes Niederösterreich (im Wege ihr gehörender Unternehmungen) entdeckt und zu Papier gebracht hat, wurde gekündigt. Das war alles!

Die Staatsanwaltschaft, immerhin handelte es sich meines Erachtens um Offizialdelikte (Körperverletzung, gewerbsmäßiger schwerer Betrug), die in diesem Buch beschrieben wurden, blieb stumm. Kein Primararzt wurde zur Verantwortung gezogen, der oberste medizinische Vorgesetzte Dr. Griessner, der persönlich an der Unterdrückung des Berichts beteiligt war, fährt weiter mit Chauffeur auf Steuerkosten herum und der zuständige Landesrat Wolfgang Sobotka - der darf offenbar alles.

Warum blieb das ohne echte Konsequenzen? Das in einer Welt, in der andere wegen unkorrekter Dissertationen Ämter verlieren?

Man muss aber gar nicht über Tote reden, um festzustellen, wie konsequenz-, nein, verantwortungslos die Gesundheitspolitik ist.

Nehmen wir den Österreichischen Krankenanstalten-Plan Ökap 2001 (eine vom Bund erlassene, für Länder angeblich verbindliche Planungsgrundlage). Dieser Ökap wurde zwischen 1997 und 2001 verhandelt, mit dem Ziel der Umsetzung bis 2005. Großartig waren die Medienberichte über diese "Reform". Als es 2005 darum ging, festzustellen, was davon Realität wurde, war nichts zu finden. Und als ein (mit Steuergeld bezahlter) Evaluierungsbericht auch noch genau das ergab, beschlossen die Ländervertreter denselben unter Verschluss zu halten - und zwar so streng, dass er nur elektronisch, auf einem gesperrten Server, mit je einem Passwort pro Bundesland, verfügbar war. Und weil 2001 ohnehin so weit zurücklag, und sich niemand erinnern konnte, wurde 2006 einfach eine neue Reform proklamiert - mit beinahe dem gleichen, jubelnden Wortlaut wie 2001. Einst jubelte Staatssekretär Reinhart Waneck, dann Ministerin Maria Rauch-Kallat. Wenn ich den Rechnungshofbericht vom April 2010 über die Umsetzung der letzten Reform lese, dann war es auch diesmal nur Show.

Konsequenzen? - Null! Und warum? Medien, gerade wenn sie wie heute von Presseförderung und Werbeeinschaltungen der öffentlichen Hand (sei es direkt oder indirekt über Firmen, die hauptsächlich von Aufträgen aus Politikerhänden leben) abhängen, können nicht in der Vergangenheit wühlen und ein Thema so lange spielen, bis es Konsequenzen gibt. Noch dazu in der undurchschaubaren Gesundheitspolitik, in der es sehr leicht ist, zu tarnen und zu täuschen. Also weiß jeder Politiker, dass er nur abwarten muss.

Jetzt stehen wieder Reformen an, beginnend in der Steiermark, Oberösterreich und Wien; und sie klingen wirklich groß (für hiesige Verhältnisse - im Norden Europas würde man dazu höchstens Anpassung sagen). Warum sollten sie diesmal den Boden berühren - so ganz ohne funktionierende Kontrolle. Wo ja klar ist, dass "nur Zwang und Not, nicht geschriebene Verträge und Verpflichtungen den Herrscher dazu treiben, sein Wort zu halten" (Macchiavelli).

Dr. Ernest G. Pichlbauer ist unabhängiger Gesundheitsökonom und Publizist.