Alles ging reibungslos und in aller Stille. Anfang der Woche beschloss das türkische Kabinett die Öffnung von Flughäfen, Stützpunkten und Häfen für amerikanische Soldaten, die auf dem Weg in den Irak sind. Im März hatte das türkische Parlament noch eine Stationierung von US-Bodentruppen für den Irak-Einsatz abgelehnt und damit eine der schwersten Krisen in der Geschichte der türkisch-amerikanischen Beziehungen heraufbeschworen.
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Diesmal wurde das Parlament erst gar nicht gefragt: Die Türkei will den Irak-Streit mit den USA so schnell wie möglich vergessen machen - und sich eine Beteiligung am potenziell lukrativen Wiederaufbau des südöstlichen Nachbarlandes sichern. Das Kabinett begründete seine Entscheidung zur Öffnung der türkischen Stützpunkte für logistische und humanitäre Einsätze im Irak mit der UN-Resolution 1483, die alle UN-Mitglieder zur Hilfe beim Wiederaufbau des Irak aufruft.
Als Stützpunkte für das amerikanische Militär kommen vor allem die Luftwaffenbasis Incirlik im Süden der Türkei und ein bisher kaum genutzter neuer Zivil-Flughafen in Istanbul in Frage. Anders als im März, als die türkische Regierung die Zustimmung des Parlaments einholen wollte und damit Schiffbruch erlitt, beschränkte sich das Kabinett diesmal auf einen Regierungserlass, für den die Volksvertretung nicht benötigt wird.
Ankara will 2.000 Soldaten zur Verfügung stellen
"Ein zweiter Frühling" habe im türkisch-amerikanischen Verhältnis begonnen, kommentierten türkische Zeitungen. Die Öffnung der Stützpunkte sei eine Geste, mit der Ankara die Bereitschaft zum Neuanfang in den Beziehungen unterstreichen wolle. Die türkische Regierung belässt es nicht nur bei der Bereitstellung der Stützpunkte. Ein hoher Beamter des türkischen Außenministeriums soll bei seinem Besuch in Washington auch die Entsendung von 2000 türkischen Soldaten in den Irak angeboten haben, die dort an einer internationalen Friedenstruppe mitwirken könnten. Mit Rücksicht auf die nordirakischen Kurden sollen die türkischen Truppen im schiitischen Süden des Irak zum Einsatz kommen.
Treffen Powell-Gül im Juli in Washington
Außenminister Abdullah Gül will im kommenden Monat selbst nach Washington fliegen, um die Versöhnung mit der US-Regierung zu besiegeln; auch eine baldige USA-Reise von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wird anvisiert. Zeichen der Wiederannäherung gibt es schon seit Wochen. Zwar hatte der als Falke bekannte stellvertretende US-Verteidigungsminister Paul Wolfowitz zunächst noch eine Entschuldigung der Türkei für das Verhalten des Parlamentes verlangt, doch dann schaltete sich US-Außenminister Colin Powell ein.
Powell gratulierte seinem türkischen Amtskollegen Gül telefonisch zu einer Rede, in der dieser Reformen in der islamischen Welt gefordert hatte. Dann lud Powell den türkischen Minister zu einem Gespräch beim Weltwirtschaftsforum in Jordanien ein, wo Gül auch US-Zivilverwalter im Irak, Paul Bremer, traf.
Das türkische Werben um das Wohlwollen der USA dient nicht nur der Reparatur der Beziehungen zum wichtigsten außereuropäischen Partner des Landes. Ankara befürchtet auch, dass die US-Regierung im Zuge einer strategischen Neubewertung der gesamten Nahost-Region die Türkei als unsicheren Kantonisten einstufen und abwerten könnte. So sorgen sich die Türken, dass künftig Länder wie Rumänien, Bulgarien und Irak an die Stelle der Türkei als "Flugzeugträger" der USA in der Region treten könnten. Außerdem will die Türkei nicht abseits stehen, wenn im Irak finanziell attraktive Aufträge zum Wiederaufbau der Infrastruktur vergeben werden.