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Ausstieg auf Zeit

Von Uschi Schleich

Reflexionen

Immer mehr Menschen steigen befristet aus ihrem Job aus. Sie erfüllen sich einen langjährigen Traum oder nützen die Chance zur Selbsterfahrung. Ihre gemeinsame Devise: Time-Out statt Burn-Out.


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"Ich war total ausgepowert, nichts ging mehr, rien ne va plus sozusagen", erinnert sich Karen an die Phase vor ihrer Auszeit. Dann machte sie drei Monate Pause. "Alle fragten mich plötzlich, ob ich unzufrieden mit dem Job sei, Depressionen hätte oder sonstwie krank sei. Dabei liebe ich meinen Job. Ich habe mir nur ein Time-Out gegönnt, um meine Batterien aufzuladen." Die 39-jährige Mitarbeiterin eines Fast-Food-Riesen hat das Glück, in einem Unternehmen zu arbeiten, wo die Möglichkeit, einen Langzeiturlaub zu nehmen, Teil der Firmenphilosophie ist. Inklusive Job-Zurück-Garantie versteht sich. In den drei Monaten tat Karen, wovon viele träumen: Sie machte sich allein und nur mit einem Rucksack ausgestattet auf eine Reise durch Sibirien. "Natürlich habe ich mich darauf vorbereitet. Bevor es richtig losging, habe ich bei einem Intensivkurs Russisch gelernt." Nur ein Jahr, nachdem sie in den Job zurückgekehrt war, haben sich ihre Russisch-Kenntnisse auch schon bezahlt gemacht. Karen war nicht nur wieder voll einsatzfähig, ihr nächster Auftrag führte sie gleich für ein halbes Jahr zur Karenzvertretung einer Kollegin nach Moskau.

Horizont-Erweiterung. "Auszeiten sind schöpferische Phasen", weiß Hagen Seibt, Unternehmensberater und Wirtschaftspsychologe. "Meistens haben Aussteiger ihren Horizont erweitert und kommen voll neuer kreativer Ideen in ihr Unternehmen zurück." Das bestätigt auch Wirtschaftscoach Ulrike Hellert. "Wer drei oder mehr Monate etwas anderes gemacht hat, kehrt fast immer mit viel Elan, neuen Ideen und gestärkter Motivation an den Arbeitsplatz zurück." Das wissen auch immer mehr Unternehmen zu schätzen. Meist sind es Branchenführer und große Konzerne: Die Unternehmensberatung McKinsey, der Computerhersteller Hewlett-Packard, BMW oder Siemens gelten als Vorreiter, wenn es um den Ausstieg auf Zeit geht. "Wie mit Auszeiten umgegangen wird, hängt sehr stark von der Unternehmenskultur ab", sagt Barbara Hesse, Sabbatical-Expertin und Unternehmensberaterin aus Wiesbaden. "Wenn eine Kontrollkultur mit ausgeprägten Hierarchien und wenig Kommunikation vorherrscht, wird es für die Mitarbeiter schwierig."

Gegen das Burn-Out-Syndrom. Eines der am häufigsten zitierten Motive für ein Time-Out ist ein drohendes oder bereits vorhandenes Burn-Out-Syndrom. Wer jahrelang unter Hochdruck gearbeitet hat, kann mit einem Time-Out womöglich dem gefürchteten Burn-Out vorbeugen. "Heute bin ich klüger", gesteht Leo, 46-jähriger Journalist und Ex-Workoholic. "Ich hätte mir rechtzeitig einen Langzeiturlaub gönnen sollen. Aber ich war ja über überzeugt davon, dass das in meinem Beruf ein Ding der Unmöglichkeit ist." Leo musste teures Lehrgeld bezahlen. Drei Monate, nachdem er unter Hochdruck den Relaunch eines Wirtschaftsmagazins realisiert hatte und kurz vor seiner Beförderung zum Chefredakteur stand, kam, was kommen musste. Der zweifache Familienvater klappte zusammen. Burn-Out. Zu lange hatte er seine ständigen Rückenschmerzen, seine Schlafstörungen und seine zunehmende Unruhe ignoriert. "Das ist der Stress, hab ich mir immer gesagt. Aber Konsequenzen hab ich keine gezogen. Ich dachte, das ist eh normal." Eine Zeit lang ging dann gar nichts mehr. Ein halbes Jahr lang brauchte der Journalist, um sich von den Auswirkungen der Erschöpfungsdepression soweit zu erholen, dass er wieder einsatzfähig war. Heute weiß er seine Grenzen besser einzuschätzen und macht Pause, bevor sein Körper wieder die Notbremse ziehen muss.

Gute Planung. Ein mehrmonatiges Time-Out will ordentlich geplant sein. Nicht nur, um die frei gewordene Zeit zu nützen, sondern auch, um gemeinsam mit den Vorgesetzen die Weichen für eine Rückkehr in den Job zu stellen und finanzielle Fragen zu klären. Die Time-Out-erfahrene Autorin Anke Richter warnt in ihrem Buch "Aussteigen auf Zeit" davor, den Langzeiturlaub lediglich als verlängerte Ferien zu betrachten. "Ein Time-Out ist viel mehr als das. Es ist die spannendste Reise zu sich selbst."

Jede Menge Möglichkeiten. Die Möglichkeiten sind unendlich. Die einen nutzen den zeitlich begrenzten Ausstieg aus dem Job dafür, um ein Buch zu schreiben, so wie es Bernhard Schlink getan hat, im Brotberuf Jusprofessor, und nebenbei Autor des Bestsellers "Die Vorleserin". Da gibt es diejenigen, die lang geträumte Wünsche wahr werden lassen: Sie holen eine längst aufgegebene Promotion nach, bauen ihr trautes Heim oder kümmern sich endlich einmal um die Familie. Andere nützen die einmalige Chance zur Selbsterfahrung: Sie gehen auf Weltreise, wählen für viele Wochen die Abgeschiedenheit eines Klosters, um zu sich selbst zu finden oder wagen sich gar auf eine sogenannte Vision-Quest, eine geführte Visionssuche in der Wildnis, um ihr Leben zu verändern. Joseph Wilhelm, Chef des Naturkostunternehmens Rapunzel, erfüllte sich in seiner dreimonatigen Auszeit einen langjährigen Traum. Der 51-Jährige packte seinen Rucksack und wanderte allein 1000 Kilometer auf dem Jakobsweg, von St. Jean de Port über die Pyrenäen bis Capo Finisterre im Nordwesten Spaniens. "Das war auch eine verstärkte Konfrontation mit mir selbst. Der Kopf wird frei für das Wesentliche", beschreibt er seine Erfahrung.

Andere wiederum nützen die Auszeit, um sich karitativ zu engagieren. Die Stuttgarter Initiative "Manager ohne Grenzen" vermittelt Managern, die auf Zeit aussteigen und ihre Kompetenzen ehrenamtlich zur Verfügung stellen wollen, Sozialprojekte im Ausland, bei denen sie als "International Volunteers" fungieren können. Topmanager Reinhard Stengel arbeitet nun an einem Projekt in Tansania mit. "Dort kann ich mich richtig einbringen und begegne ganz neuen Herausforderungen. Ich bin gespannt, welche Erfahrungen ich von dort mitbringe."

Nur wenige tun es. Doch nicht jeder, der die Möglichkeit einer längeren Auszeit in Anspruch nehmen könnte, tut das auch. Im Gegenteil. Die Anzahl der Aussteiger auf Zeit ist immer noch sehr gering. Das kann auch an den negativen Reaktionen der Umwelt liegen. Wer sich für ein Time-Out in seinem Job entscheidet, läuft Gefahr, als arbeitsscheu, unkollegial und faul zu gelten. "Den Betroffenen wird mangelnde Leistungsbereitschaft zugeschrieben" weiß die Soziologin Masha Gerding aus einer Untersuchung an der Universität Bochum. Dass es sich bei den Sabbaticals dennoch keineswegs um Faulenzer handelt, bestätigt Hans-Werner Stahl, Leiter des Europäischen Studiengangs für Betriebswirtschaft: "Die, die aussteigen, sind keine beruflich Frustrierten, sondern mutige Avantgardisten, die ihre innere Balance suchen."

Wie Sie Burn-Out vermeiden könnenZuhören: Wenn andere Ihnen zu verstehen geben, dass Sie sich verändert haben, sollten Sie das glauben und ernst nehmen. Am häufigsten kommen die Warnsignale von der Familie, doch die hat oft am wenigsten Einfluss.

Grenzen setzen: Trennen Sie Arbeit und Freizeit. Versuchen Sie, einmal in der Woche um 16 Uhr das Büro zu verlassen. Kommunizieren Sie dies gegenüber der Firma und der Familie klar. Kino, ein Zoobesuch oder auswärts essen ist so viel entspannter möglich.

Entspannen: Sauna, Massage, Musik hören, Wandern, autogenes Training oder Yoga - alles, was Spaß macht, tut gut.

Sport: Dreimal eine halbe Stunde Bewegung in der Woche wirkt Wunder. Wenn Sie Mühe mit der Disziplin haben: Spielen Sie einen Teamsport, joggen Sie mit der Ehefrau, oder spielen Sie mit einem Kollegen Tennis. Die Abmachung wird so eher eingehalten.

Soziale Kontakte: Nehmen Sie sich bewusst Zeit für Ihren Lebenspartner, Ihre Familie und Ihre Freunde.

Termine: Tragen Sie auch Freizeittermine in Ihre Agenda ein. Sie sind enorm wichtig.

Bewusst essen: Machen Sie zu Mittag eine Stunde Pause, essen Sie mit Kollegen. Auch den Kaffee sollten Sie nicht vor dem Bildschirm trinken, sondern gemeinsam mit anderen. Dadurch fördern Sie die sozialen Kontakte. Essen Sie viele Früchte und trinken Sie viel und regelmäßig Wasser.

Pause: Wenn möglich, arbeiten Sie einen Tag in der Woche von zu Hause aus. Versuchen Sie, Ihren Chef davon zu überzeugen, dass das Ihnen und ihm viel bringt.

Lebens-Check: Machen Sie alle fünf Jahre eine berufliche und persönliche Standortbestimmung. Bin ich im Job glücklich? Bin ich in der Familie glücklich? Möchte ich lieber etwas Neues anfangen?

Professionelle Hilfe: Trauen Sie sich, frühzeitig fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen. Gegen Burn-Out gibt es mittlerweile sehr wirksame Therapien.

10 Tipps zur Vorbereitung auf Ihre Auszeit:1 Entschließen Sie sich für ein richtiges Time-Out. Verwechseln Sie ihre Auszeit nicht mit verlängerten Bildungsferien oder einem Auslands-Praktikum.

2 Planen Sie die Auszeit, bevor Sie total ausgebrannt sind oder mitten in mehreren Projekten stecken. Eine Auszeit eignet sich zum Beispiel auch dann, wenn Sie sich beruflich neu orientieren wollen.

3 Die Länge eines Time-Outs wird von verschiedenen äußeren und persönlichen Faktoren bestimmt. Optimal wäre eine Mindestdauer von drei Monaten.

4 Legen Sie die Grundrichtung Ihres Time-Outs fest (größere Reise, Bildungsurlaub, Selbsterfahrung) und bleiben Sie offen dafür, was sich in der Folge ergibt.

5 Planen Sie nur das Notwendige und gehen Sie mit realistischen Erwartungen an das Ganze heran. Ein Time-Out löst weder die Probleme am Arbeitsplatz, noch verhilft es gleich zu einer neuen Geschäftsidee.

6 Schieben Sie Formalitäten nicht beiseite. Rechtsfragen, Versicherungen, Administratives müssen rechtzeitig angegangen werden.

7 Klären Sie wichtige Punkte mit Ihren Angehörigen und Ihrer Familie (Geld, Erreichbarkeit usw.).

8 Versuchen Sie vorher herauszufinden, wie Sie auf einen Ausstieg aus dem Job reagieren, etwa durch einen Probelauf in Form einer längeren Arbeitspause. Manchmal kann ein Time-Out auch eine innere Krise auslösen, vor allem dann, wenn Sie sehr fest mit Ihrem Beruf verwachsen sind.

9 Läuft während des Time-Outs etwas grundlegend schief, scheuen Sie sich nicht vor Programmänderungen, professioneller Unterstützung oder einem Abbruch der Auszeit.

10 Achten Sie darauf, nach der Rückkehr nicht in den alten Rhythmus zu verfallen.