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Auswege aus der EU-Jobkrise gesucht

Von WZ-Korrespondentin Martyna Czarnowska

Politik

Vor EU-Gipfel mahnt Parlamentspräsident Martin Schulz: "Feierliche Deklarationen reichen nicht mehr"


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Brüssel. Von dem Streik werden sie kaum etwas merken. Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU am heutigen Donnerstag zu einem zweitägigen Gipfeltreffen zusammenkommen, befinden sich die Beamten im Ratsgebäude im Ausstand. Dort, wo die Politiker tagen, fordern sie auf Plakaten einen "sozialen Dialog". Sie wenden sich gegen geplante Gehaltskürzungen einerseits und die Verlängerung der Arbeitszeit andererseits. Sie fühlen sich "verraten", wie es eine Gewerkschaftsvertreterin formuliert: "Die gleichen Staaten, die während ihres EU-Vorsitzes gerne unsere Dienste nutzen, wollen unsere Einkommen beschneiden."

So waren es die Finanzminister der EU, die den Streik leicht zu spüren bekamen: Bei ihrer nächtlichen Sitzung vor dem Gipfel wurden ihre Beiträge in weniger Sprachen übersetzt als sonst. Und zu essen gab es bloß Sandwiches.

Beim Gipfel selbst steht aber wieder Übersetzung in alle Amtssprachen der EU an. Der Streik wird dabei kein Thema sein. Denn dafür haben sich die Staats- und Regierungschefs Anderes gewählt. Maßnahmen gegen die Arbeitslosigkeit wollen sie diskutieren, ebenso wie die Vertiefung der Währungsunion. Das haben sie sich nicht zum ersten Mal vorgenommen, passiert ist in der Zwischenzeit allerdings wenig. In der EU ist mittlerweile jeder zehnte Mensch ohne Job, und in mehr als einem Drittel der Mitgliedstaaten ist es jeder vierte Jugendliche. Dorthin sollen nun sechs Milliarden Euro für Beschäftigungsprogramme fließen.

Hemmnis Kreditklemme

Ebenso drängt die EU-Kommission darauf, dass die Länder eine sogenannte Jugendgarantie abgeben, für die das österreichische oder finnische Modell Vorbild sind. Das Konzept sieht vor, dass Arbeitslosen, die jünger als 25 Jahre sind, innerhalb von vier Monaten ein Job, eine Ausbildung oder ein Praktikumsplatz vermittelt wird. Kritiker weisen jedoch darauf hin, dass eine Garantie lediglich in Ländern mit von vornherein geringen Arbeitslosenraten greifen kann. Ähnlich lässt sich die duale Ausbildung nur unter bestimmten Voraussetzungen umsetzen: Nötig sind dafür Unternehmen, wie es sie in Österreich oder Deutschland gibt, die tatsächlich ausbilden können.

Die Umsetzung all der Ideen geht jedenfalls nur langsam voran, was auf Kritik im EU-Parlament stößt. "Was wir seit Jahren sagen, entdecken die Staaten plötzlich als Thema Nummer 1: die Jugendarbeitslosigkeit", erklärt Präsident Martin Schulz im Gespräch mit mehreren EU-Korrespondenten. "Doch feierliche Deklarationen reichen nicht mehr." Vielmehr sollte die EU-Kommission die Mitglieder zu schnellen Taten und vor allem strukturellen Maßnahmen drängen.

Eines der drängendsten Probleme ist für Schulz dabei nicht zuletzt "die Kreditklemme kleiner und mittlerer Unternehmen". Das sollte überwunden werden. Und wenn solche Betriebe Jobs für Jugendliche schaffen, könnten sie etwa Kredite zu günstigeren Konditionen bekommen, schlägt der Sozialdemokrat vor.

Bessere Finanzierung kleinerer Firmen als Schlüssel zum Aufbau von Arbeitsplätzen wünschen sich denn auch die EU-Staaten. Daher soll die Europäische Investitionsbank (EIB) in den kommenden Jahren verstärkt Kredite mobilisieren, indem sie diese mit Garantien über das EU-Budget bündelt. Das Volumen soll hundert Milliarden Euro übersteigen; das Kapital der EIB wurde bereits um zehn Milliarden Euro aufgestockt.

Aufgeblasene Zahlen?

Doch gibt es Experten, die der Meinung sind, es brauche nicht mehr Kapital, sondern eine Reorganisation des Finanzsystems. "Italien etwa hat in den letzten Jahren mehr Investitionen getätigt als Deutschland - der Effekt war gleich null", stellt Daniel Gros fest. Der Leiter der Denkfabrik CEPS (Centre for European Policy Studies) glaubt auch nicht an die Wirksamkeit von sechs Milliarden Euro, die in Jugend-Beschäftigungsprogramme fließen. Solche kurzfristigen Maßnahmen würden keine strukturellen Probleme lösen - und damit eher eine Geldverschwendung sein.

Gros ortet in der Debatte um Jugendarbeitslosigkeit vor allem eine politische Diskussion, mit der sich die Minister und Regierungschefs Sympathie bei ihren Wählern erwerben wollen. Denn wer könne schon etwas dagegen haben, dass Arbeitslosigkeit bekämpft werden soll? Doch sei nicht einzusehen, warum die Aufmerksamkeit nur auf Jugendliche gerichtet werde. "Ein Jahr Arbeitslosigkeit kann für einen Jugendlichen weniger schlimm sein als für einen älteren Arbeitnehmer, der seine Familie zu erhalten hat", argumentiert der Ökonom. Ebenso sei der Verlust für den Staat größer, weil ein älterer Beschäftigter mehr Steuern zahle.

Noch dazu seien die statistischen Angaben selbst zu hinterfragen. Die beispielsweise für Griechenland gemeldete Arbeitslosenrate von mehr als 60 Prozent bei Jugendlichen stimme laut CEPS so nicht. Denn von den 15- bis 19-Jährigen seien lediglich neun Prozent auf dem Arbeitsmarkt, weil der Rest etwa zur Schule gehe. Daher mache der Anteil der Teenager ohne Job an den griechischen Arbeitslosen also nur sechs Prozent aus.