Ja, die Osterweiterung ist ein Friedensprojekt. Aber dass sie das sein kann, dafür müssen eine Reihe von Voraussetzungen erfüllt sein. Die wichtigste ist: Frieden gibt es nur, wenn es keine sozialen Spannungen gibt. Ohne sozialen Frieden gibt es keine Sicherheit, keine Stabilität. Also gibt es auch kein "Friedensprojekt Osterweiterung", ohne auf die Sorgen der Arbeitnehmer (in allen beteiligten Ländern) einzugehen.
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Bald werden 12 Länder am Start zu einer EU-Osterweiterung stehen. Maßgebliche EU-Stellen haben erklärt, die ersten Beitritte schon in ein paar Jahren zu wollen. Die Befürworter dieses hohen Beitrittstempos - die es auch in Österreich gibt - sprechen von den angeblich großen Chancen der Osterweiterung. Wovon sie leider nicht sprechen, das sind die Sorgen und Ängste der Arbeitnehmer.
Die Arbeitnehmer stehen unter starkem Druck. Viele Arbeitnehmer haben das Gefühl, dass es für sie unsicherer wird, dass ihr Arbeitsplatz wackelt. Dass Billigkonkurrenz ihre Löhne drückt. Das muss sich ändern. Deshalb verlangen wir, dass Arbeit schaffen, Arbeit in Österreich schützen absoluten Vorrang haben muss. Und das darf durch eine übereilte EU Osterweiterung nicht gefährdet werden.
Denn die Befürchtungen der Arbeitnehmer sind ja begründet. Derzeit ist es so:
- Die Löhne in Osteuropa erreichen nur einen Bruchteil der unsrigen.
- Die Wirtschaft in den meisten Beitrittsländern wächst nicht schnell genug.
- Was gegen unsichere Atomkraftwerke und eine Verkehrslawine getan wird, das ist noch offen.
- 5 Millionen Österreicher leben in Regionen, die für Pendler aus den Nachbarländern leicht erreichbar sind. Das ist die Hauptgefahr: Wenn es dort nicht ausreichend Arbeit gibt, werden neue EU-Bürger bei uns als Pendler Arbeit suchen.
Was sind die Konsequenzen aus diesen Tatsachen? Die wichtigste ist wohl, dass der Beitrittsprozess gut vorbereitet werden muss und seine Zeit braucht. Und, zweitens, dass auch nach einer Aufnahme neuer Länder in die Europäische Union noch Übergangsregelungen notwendig sind.
Bevor ein Beitritt möglich ist, müssen diese Länder einen Aufholprozess durchmachen können. Die Fragen des Verkehrs (in den Beitrittsländern wird der Verkehr immer mehr von der Schiene auf die Straße verlagert, was für Österreich ein Riesenproblem wird), in Fragen der Atomkraftwerke und der Umweltstandards müssen sie ebenso europäisches Niveau erreichen wie bei den sozialen Standards. Es kann nicht genügen, dass ein Rechtsbestand einfach übernommen wird, er muss auch mit Leben erfüllt werden. Besonders wichtig wird sein, dass der soziale Dialog - wie er in der Europäische Union immer mehr Bedeutung gewinnt - auch in den Beitrittsländern entwickelt wird.
Aber auch Österreich muss sich sorgfältig vorbereiten. Daher habe ich in diesem Sommer einen Aktionsplan vorgeschlagen. Die wichtigsten Punkte daraus sind:
Wir brauchen eine Bildungs- und Weiterbidlungsoffensive für die österreichischen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. In die Regionen, die den beitrittsländern nahe liegen, muss investiert werden, damit es nicht zur Abwanderung von Unternehmen und Arbeitsplätzen kommt. Das kann aber nicht nur ein "Grenzstreifen" sein - denn die wichtigsten Ballungsräume Österreichs liegen in weniger als hundert Kilometer Entfernung zu den Beitrittsländern, fünf Millionen Österreicher leben in diesen Regionen. Drittens muss das organisierte, illegale Schwarzunternehmertum rigoros bekämpft werden, und viertens muss die Verkehrsinfrastruktur, vor allem die Bahn ausgebaut werden.
Gleichzeitig muss die Bundesregierung in den Verhandlungen die österreichischen Bedingungen klar machen und offenlegen. Am wichtigsten dabei ist mir der Schutz der Arbeitsplätze auch nach dem Beitritt neuer Länder.
Wofür ein Arbeitnehmer in Österreich 100 Schilling in der Stunde verdient, dafür bekommt man in Tschechien, Ungarn, Polen und in der Slowakei nicht einmal ein Fünftel davon als Stundenlohn. Das ist das Hauptproblem bei der Osterweiterung: Dass die
Löhne und die Wirtschaftskraft so weit auseinanderliegen.
Die Folgen davon sind absehbar: Wenn nach einem Beitritt der Arbeitsmarkt geöffnet wird, obwohl die Lohndifferenz so groß ist, werden Tausende hier arbeiten wollen. Und zwar nicht so sehr als Einwanderer, sondern vor allem als Pendler: Sie würden in Schilling verdienen, aber in Kronen oder Forint ihre Lebenskosten bestreiten. Außerdem könnten diese Arbeitskräfte billiger sein, wenn das organisierte Schwarzunternehmertum in Österreich nicht bekämpft wird.
Angeblich entwickeln sich die Beitrittsländer zügig. Aber bei den Löhnen stimmt das sicher nicht: In den letzten zwei Jahren ist der Unterschied zwischen österreichischen und den Einkommen in den Beitrittsländern kaum geringer geworden. Nur Ungarn hat aufgeholt - aber nur um ein Prozent! 25.000 Schilling Monatsbrutto ist ein Durchschnittseinkommen in Österreich - zum Beispiel in Tschechien sind es nach wie vor (umgerechnet) nur 4.000 Schilling, und die Schere geht nicht zu.
Daher wird für die Öffnung des Arbeitsmarktes auch nach einer Osterweiterung eine längere Übergangszeit notwendig sein. Nur eine Übergangsfrist zu verhandeln, das wird zu wenig sein: Denn eine Frist verstreicht auch, wenn nichts geschieht. Stattdessen schlage ich vor, ein Paket von Übergangs-Bedingungen zu entwickeln, die die Entwicklung der Löhne und der Wirtschaftskraft, der sozialen Standards, aber auch die Arbeitslosigkeit in Österreich und in den jeweiligen Beitrittsländern berücksichtigt. Denn das sind die ausschlaggebenden Faktoren, ob Arbeitnehmer im Ausland Arbeit suchen oder nicht. Erst wenn hier die Niveaus angeglichen sind, hat eine Öffnung keine negativen Auswirkungen mehr, erst dann kann die Erweiterung der EU wirklich als Friedensprojekt wirken.