"Demokratie ist ein miserables System", befand Winston Churchill und fügte hinzu: "Aber wir haben kein besseres." So fühlt auch der genervte Österreicher, wenn er das Koalitionstheater durchleidet: Streit, "Neustarts", Bruch von Wahlversprechen und des Koalitionspakts - fortgesetztes "aut idem" also; nämlich Stillstand "oder Gleiches" in einem parteipolitischen Eiertanzturnier um die dringenden Großreformen.
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Bundespräsident Fischer spendete dem Kabinett Gusenbauer einen großen Vorschuss an Vertrauen: "Die große Koalition allein kann die großen Probleme lösen." Will heißen, dass jede kleinere Koalition das nicht kann. Die Große aber könnte - wenn sie nur wollte. Nun aber sehen wir statt Lösungen oder emsig-zielsicherem Betrieb auf den Baustellen der Reformen vorwiegend Ruinen dank wechselseitiger Sabotage.
Die Erfolge der verbalen Opposition unserer Kleinparteien sind geradezu niedlich im Vergleich zur realen Opposition innerhalb der Koalition: Sabotage an allem, was dem Partner Gutpunkte eintrüge. Zu den großen Sprüchen vor den Wahlen passt auch die schludrige politische Kleinarbeit hinterher. Da spülen Volksvertreter Gesetze durch das Parlament und geben hinterher sogar zu, den Gesetzestext gar nicht gelesen zu haben. Das zeitigt Folgen, die selbst die abgebrühtesten unter den gelernten Österreichern aufschrecken - etwa die Zwischenbilanz der polizeilichen Lauschangriffe.
Laut Gesetz darf die Polizei auf Handy- oder Internetdaten von Bürgern ohne richterliche Erlaubnis nur bei "konkreter Gefahrensituation" zugreifen. Im ersten Jahresdrittel 2008 geschah das 3863 Male - ohne dass die Belauschten informiert worden wären. Denn das Husch-Pfusch-Gesetz sieht das nicht vor. Leben wir also in einem Land, in dem alle 45 (!) Minuten "konkrete Gefahrensituation" herrscht? Auf so hohes Sicherheitsrisiko bringt es nicht einmal die Koalition.
Entsprechend fällt die Quittung des Volkes für die zwar nicht bestdotierten, aber kostspieligsten Manager des Landes aus: Im jüngsten "Vertrauens-Index" landete der Kanzler auf minus 24 und sein Vize auf minus 10 Punkten. Dagegen verblassen Reformruinen und Lauschangriffe, wie beim großen Konfuzius nachzulesen ist, der vor 2500 Jahren warnte: Die größte aller Katastrophen ist, wenn das Volk das Vertrauen in seinen Herrscher verliert. Hat er aber das Vertrauen, dann steht das Volk auch die nächstgrößten Katastrophen durch: Hungersnot und Krieg.
In dieser Situation verschafft die rote Doppelspitze einem Medienzampano auch noch den Lotto-Sechser, sich einen Kanzler, eine halbe Ministerriege und eine Mehrheitspartei als politisches Marionettentheater zu halten. Da darf man einen Satz von Heinrich Heine zeitgemäß abwandeln: "Denk ich an Östreich in der Nacht, so bin ich um den Schlaf gebracht."
Clemens M. Hutter war bis 1995 Ressortchef Ausland bei den "Salzburger Nachrichten".
"Zu den großen Sprüchen vor den Wahlen passt auch die schludrige politische Kleinarbeit hinterher."
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