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Autismus: Den Genen auf der Spur

Von Christa Karas

Wissen
Zweieiige Zwillinge widerlegen "Impftheorie". Foto: bilderbox

Analysen anhand ganzer Familien der betroffenen Kinder. | Keine Impffolgen, wie in den USA nun wieder behauptet. | Graz/Wien. Vor drei Jahren gelang es einem Team von Göttinger Hirnforschern - Nils Brose, Frederique Varoqueaux und Weiqi Zhang - gemeinsam mit dem US-Genetiker Thomas Südhof, die molekularen Einzelheiten von Genmutationen zu entschlüsseln, welche die Signalübertragung im Gehirn stören und Autismus verursachen. Grazer Forscher gehen nun auf einem anderen Weg den Genen auf die Spur.


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Das breite Spektrum autistischer Störungen reicht von geistig schwer behinderten frühkindlichen Autisten bis zu Universitätsprofessoren mit Asperger-Syndrom. Ludwig van Beethoven etwa könnte, weil vieles darauf hindeutet, Autist gewesen sein. Die seltsamen Störungen waren indessen noch lange nicht als gemeinsames Leiden erfasst. Das gelang erst nach und nach Pionieren wie Eugen Bleuler, der den Begriff Autismus bereits im Jahr 1911 prägte, und in der Folge Leo Kanner (1943) und Hans Asperger (1938).

Dessen ungeachtet taucht - derzeit erneut via USA und Internet - immer wieder das Gerücht auf, Autismus sei durch Impfstoffe bzw. die in ihnen enthaltenen Konservierungsmittel verursacht. Ursache dafür war eine Veröffentlichung von Andrew Wakefield 1998 in "The Lancet", die 2004 zurückgezogen wurde, als sich herausgestellt hatte, dass Wakefield die Studie gefälscht und 55.000 Britische Pfund von Anwälten einiger Selbsthilfegruppen erhalten hatte, die auf Schadenersatz klagten. Eine Fülle von wissenschaftlichen Untersuchungen seither ergab zweifelsfrei, dass keinerlei Konnex zwischen Impfstoffen und kindlichem Autismus besteht.

Gar nicht oder doppelt

Die Forschung geht heute logischerweise davon aus, dass die verschiedenen Erscheinungsformen ganz entscheidend von genetischen Faktoren mitbestimmt werden. Auf der Suche nach diesen Ursachen fahnden OA Dr. Wolfgang Kaschnitz, Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde der Med Uni Graz, und Univ.-Prof. Erwin Petek, Institut für Humangenetik der Med Uni Graz, nicht nach einzelnen veränderten Bausteinen im Erbgut Betroffener, sondern nach größeren Chromosomenabschnitten, die entweder fehlen oder in doppelter Ausführung vorliegen.

Derartige Abweichungen werden zunehmend als Ursache für Krankheitsanfälligkeiten diskutiert und könnten auch eine wichtige genetische Grundlage für autistische Störungen sein.

Welch großen Stellenwert die Genetik bei der Entstehung von Autismus hat, zeigen unter anderem Zwillingsstudien: Während eineiige Zwillinge eine Konkordanz von 80 bis 90 Prozent aufweisen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass beide Kinder erkranken, bei zweieiigen Zwillingen wesentlich geringer.

Hilfreiche Technik

Kompliziert wird die Situation dadurch, dass Autismus durch eine Vielzahl von Genen verursacht wird, deren variables Zusammenspiel die Erklärung für die unterschiedlichen Ausprägungen der Erkrankung sein dürfte. "Derzeit geht man von rund 20 Hauptgenen aus", erklärt Petek. "Zusätzlich spielen auch noch Umweltfaktoren eine Rolle, über die aber noch sehr wenig bekannt ist."

Die Analyse der Kopienzahlvariationen beruht auf einer Technik, die erst seit wenigen Jahren zur Verfügung steht. Mittels Microarray Analyse ist es möglich, das gesamte Genom nach Deletionen oder Duplikationen von Chromosomenabschnitten zu durchsuchen. Bisherige Untersuchungen deuten darauf hin, dass bei Patienten mit Autismus die Zahl neu entstandener, sogenannter Copy number variants (CNV) erhöht ist. Zudem wurden in den betreffenden Chromosomenabschnitten Gene gefunden, die schon zuvor mit Autismus in Zusammenhang gebracht wurden.

In dem von Petek und Kaschnitz Anfang dieses Jahres begonnenen Projekt ist geplant, 70 bis 100 Patienten mit einer "Autismus Spektrum Störung" zu untersuchen. Um die Bedeutung gefundener CNVs für die Pathogenese der Erkrankung richtig einschätzen zu können, ist auch die genetische Untersuchung von Familienmitgliedern unabdingbar. Hier können die Forscher auf die Infrastruktur zurückgreifen, die Kaschnitz aufgebaut hat.

"Die kinderpsychiatrische Diagnostik erfolgt primär an der Kinderklinik", so der Pädiater. "Die aufwendige genauere Differenzierung und Einstufung wird dann im Verein Libelle, der sich mit der Therapie autistischer Kinder beschäftigt, durchgeführt."

Durch den langjährigen Kontakt findet man bei autistischen Störungen meist eine ausgezeichnete Arzt-Patienten-Beziehung. Dementsprechend ist auch die Mitwirkung der Familienmitglieder Betroffener außerordentlich hoch. Bisher wurden 50 Patienten Blutproben abgenommen.